Montag, 20. März 2017

Anforderung von Unterlagen, die nicht Gegenstand der Gerichtsakte sind


Zur Erstellung des Gutachtens wird dem Sachverständigen die Gerichtsakte einschließlich aller Beiakten übersandt. Vielfach handelt es sich dabei um Pläne oder Schriftverkehr zwischen den Parteien. Bei der Lektüre des Gutachtens ist der Sachverständige in der Lage festzustellen, ob er das Gutachten mit dem ihm übersandten Material erstellen kann oder nicht. Ist dies nicht der Fall, weil etwa Pläne nicht zur Akte gelangt sind oder in Schriftsätzen angekündigte Unterlagen
den Schriftsätzen nicht beigefügt waren, so kann der Sachverständige die entsprechende Partei auffordern, die von ihm benötigten Unterlagen zur Akte zu reichen. Er sollte dies jedoch in Anwaltsprozessen dringend über den Anwalt tun, da der Rechtsanwalt entscheidet, welche Pläne oder andere Unterlagen zur Akte gereicht werden.
Fordert der Sachverständige unter Umgehung des Anwalts direkt von einer Partei Unterlagen an, verärgert er den Anwalt, da dann ohne seine Kenntnis (und ohne sein Einverständnis) Unterlagen zur Akte gelangen. Zwar mag es zur Vervollständigung des Bildes eines Rechtsstreits wünschenswert erscheinen, alle den Rechtsstreit betreffenden Unterlagen zur Akte zu erhalten. Der Sachverstän-
dige sollte sich jedoch bewusst machen, dass es im Zivilprozess keine Amtsermittlung gibt und die Parteien vom Gericht den Sachverhalt beurteilt haben wollen, den sie dem Gericht vorgetragen haben. Auf diese Weise reicht eine Partei Schreiben, die für sie nachteilig sind, nicht zur Akte. Dies ist Aufgabe des Prozessgegners. Außerdem gibt es Unterlagen, die sowohl Vorteilhaftes als auch
Nachteiliges für eine Partei enthalten, etwa Bautagebücher.

In derartigen Fällen muss der Anwalt sorgfältig prüfen, ob er diese Unterlagen zur Akte reicht, da er
mit deren Überreichung seine eigene Klage zu Fall bringen kann. Unbedingt erforderlich ist es auch, dass der Anwalt der Partei, die nicht zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert wird, von dieser Aufforderung Kenntnis erlangt, damit er weiß, was der Sachverständige zur Grundlage seines Gutachtens macht. Fordert ein Sachverständiger von einer Partei Unterlagen an, ohne die Gegenpartei davon in Kenntnis zu setzen, erweckt er den Eindruck, der anderen Partei etwas vorenthalten zu wollen und liefert sich damit dem Vorwurf der Befangenheit aus.
Weigert sich eine Partei, aus welchen Gründen auch immer, vom Sachverständigen für die Gutachtenerstellung benötigte Unterlagen diesem zu übersenden,muss der Sachverständige unverzüglich das Gericht hiervon in Kenntnis setzen und ihm die Konsequenzen der fehlenden Unterlagen verdeutlichen. Das Gericht kann dann mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln (manchmal reicht ein Telefonat) Druck auf die sich weigernde Partei ausüben und ihr gemäß § 356
ZPO eine Beibringungsfrist zur Vorlage der Unterlagen setzen, bei deren fruchtlosem Ablauf das Beweismittel nur noch benutzt werden kann, wenn das Verfahren dadurch nicht verzögert wird.

Sind die Parteien nicht in der Lage, vom Sachverständigen benötigte Unterlagen zu beschaffen, und zwar Unterlagen, die auch nicht über das Gericht angefordert werden können, so hat der Sachverständige, wenn dazu das Einverständnis einer Partei erforderlich ist, sich von der betroffenen Partei zur Einsicht in behördliche Akten bevollmächtigen zu lassen. Die gegnerische Partei ist über dieses Vorhaben zu informieren.

Urkunden im Besitz eines Dritten

Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001 (BGBl. I 1887, geänd. 3138) sind mit Wirkung zum 1. Januar 2002 umfassende Änderungen des deutschen Zivilprozessrechts in Kraft getreten. Hierzu gehört auch die Änderung des § 142 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht anordnen, dass ein Dritter die in seinem Besitz befindlichen Urkunden oder sonstigen Unterlagen,
auf die sich eine Partei bezogen hat, zur Akte reicht (§ 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dritte sind nur dann nicht zur Vorlage verpflichtet, wenn ihnen dies nicht zumutbar ist oder sie ein Zeugnisverweigerungsrecht besitzen (§ 142 Abs. 2 ZPO).
Zu diesen Unterlagen können auch Unterlagen gehören, die der Sachverständige zur Erstellung seines Gutachtens benötigt. Erlangt der Sachverständige bei der Vorbereitung seines Gutachtens Kenntnis davon, dass sich eine von ihm benötigte Unterlage nicht im Besitz der Parteien befindet, sondern im Besitz eines Dritten (z. B. Architekt, Erwerber einer Eigentumswohnung), so hat er die Möglich-
keit, die Parteien zu bitten, die Unterlage bei dem Dritten anzufordern. Ist aber zu erwarten, dass die Bitte um Vorlage der Unterlage zu Schwierigkeiten führen könnte, sollte sich der Sachverständige an das Gericht wenden. Das Gericht hat dann die Möglichkeit, den Dritten aufzufordern, diese Unterlage zur Akte zu reichen und dem gegebenenfalls durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes
Nachdruck zu verleihen (§§ 142 Abs. 2 Satz 2, 390 ZPO).



©  Marc Husmann   Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.