Donnerstag, 16. März 2017

Biofilme, Algen, Cyanobakterien und tierische Organismen im Trinkwasser


Das Auftreten von Biofilmen, tierischen Organismen und Algen/Cyanobakterien in der Trinkwasserversorgung sind nur auf den ersten Blick voneinander
unabhängige Probleme. Diese Probleme haben gemeinsame Ursachen in ungenügendem Ressourcenschutz bzw. ungenügender Aufbereitung und stehen
in vielfältiger Wechselwirkung miteinander. Einerseits gelangen Nährstoffe darüber ins Trinkwasser, dass aus dem Rohwasser Algen und höhere Organismen eingetragen werden, dort absterben und bei ihrer Zersetzung Nährstoffe abgeben. Diese Nährstoffe fördern die Bildung von Biofilmen. Auf der anderen Seite dienen Biofilme solchen Kleintieren, die sich im Trinkwasserverteilungsnetz vermehren können, als Nahrungsgrundlage.

Biofilme


Alle Oberflächen, die in Kontakt mit Wasser kommen, werden in mehr oder weniger starkem Ausmaß von Mikroorganismen besiedelt. Diese Ansammlung
von Mikroorganismen auf der Oberfläche von Materialien oder an anderen Grenzschichten nennt man Biofilme. Biofilme stellen ein Gemisch aus Zellen,
organischen Ausscheidungen der Zellen und anorganischen Ablagerungen dar.

Die von den Mikroorganismen ausgeschiedenen Schleime (extra zelluläre
polymere Substanzen (EPS)  füllen die Räume zwischen den Zellen und stellen ein wichtiges Bindeglied zwischen Zellen untereinander und auch zwischen
Zellen und den Oberflächen dar. Durch die EPS fühlen sich Biofilme auf Materialien im Wasser oft schleimig an. Die anorganischen Ablagerungen können
entweder aus dem Wasser stammen und durch Adsorption an die Biofilmmatrix angelagert worden sein oder durch aktive Prozesse der Bakterienals Stoff-
wechselprodukte in deren Umgebung abgelagert werden (z.B.Eisen- und Manganoxidhydrate).

Auch alle Oberflächen im Trinkwasserverteilungsnetz und in den Hausinstallationen sind mit Mikroorganismen besiedelt. Man schätzt, dass sich ein großer
Teil der Biomasse im Verteilungsnetz an den Wänden der Rohre und nur ein kleiner Prozentsatz in der freien Wasserphase befindet. Da die beiden Lebens-
räume, Freiwasserphase und Biofilm, in Kontakt stehen und die Populationen sich gegenseitig austauschen, kommt den Vorgängen an der Oberfläche also
eine große Bedeutung für die Qualität des Trinkwassers zu. Das Ausmaß der Biofilmbildung im Trinkwasserverteilungsnetz wird im Wesentlichen durch die
Verfügbarkeit von Nährstoffen bestimmt. Die Nährstoffe für das Wachstum von Bakterien an Oberflächen können entweder aus dem Rohwasser stammen
oder von den Rohrmaterialien abgegeben werden. Damit haben zum einen der Schutz der Rohwasserquelle sowie die Qualität der Trinkwasseraufbereitung
einen großen Einfluss auf das Wachstumspotential im Verteilungssystem. Zum anderen kommt der Verwendung von Materialien, die möglichst wenig Nähr-
stoffe abgeben, eine große Bedeutung zu.

Daher werden in § 17 neue TrinkwV besondere Anforderungen an Materialien in Kontakt mit Trinkwasser festgelegt. Für die Vermeidung von Biofilmen ist
es unabdingbar, dass im Trinkwasser nur Materialien verwendet werden, die neben der chemisch-physikalischen Prüfung (KTW-Empfehlung) auch eine
mikrobiologische Prüfung mit Erfolg durchlaufen haben. In Deutschland erfolgt die mikrobiologische Prüfung durch Nachweis der Dicke der Schleimbildung
auf dem Material (W270). In anderen Ländern wurden Verfahren auf der Grundlage der Sauerstoffzehrung bzw. der ATP-Bildung entwickelt.

Bei niedrigen Nährstoffkonzentrationen bilden sich nur sehr dünne Biofilme mit für das Trinkwasser typischen oligotrophen Bakterien, die an niedere Nähr-
stoffkonzentrationen angepasst sind. Solche Biofilme sind in der Regel nicht von hygienischer Relevanz.

Mit zunehmender Konzentration an Nährstoffen durch ungenügende Aufbereitung oder ungeeignete Rohrmateriealien kann es jedoch zu verstärkter Bio-
filmbildung kommen. Dieser Prozess kann nicht nur zu ästhetischer Beeinträchtigung des Trinkwassers führen (Flockenbildung,Verfärbung, Geruchs- und
Geschmacks beeinträchtigungen), sondern birgt auch Risiken für die hygienisch-mikrobiologische Qualität des Trinkwassers. Auch solche Biofilme enthal-
ten zum überwiegenden Teil harmlose Umweltbakterien. In manchen Fällen wird man auf Biofilme daher zunächst durch eine Erhöhung der Koloniezahl im
fließenden Wasser aufmerksam. Das muss allerdings nicht der Fall sein, da viele der Umweltbakterien mit den Standartmethoden nicht oder nur schwer
kultivierbar sind und damit bei der Routineanalytik nicht erfasst werden. Insbesondere dickere Biofilme können aber auch von Indikatorbakterien und Krank-
heitserregern besiedelt werden, für welche die erhöhten Nährstoffkonzentrationen und die schützende Umgebung eine Überlebens und z.T.auch Wachstums-
Möglichkeit bietet.  

Da Biofilme und freie Wasserphasen miteinander in Verbindung stehen, können dies Indikatorbakterien und Krankheitserreger unter bestimmten Bedingungen in die freie Wasserphase übergehen und dann plötzlich bei der Untersuchung von Wasserproben
nachgewiesen werden. Auch für von außen eingetragene Dauerstadien krankheitserregender Protozoen (Cryptosporidien, Giardien) wird diskutiert, dass
sie in Biofilmen über längere Zeit persistieren können. Dieses Verhalten liefert eine Erklärung für den sporadischen Nachweis von Indikatorbakterien oder
Krankheitserregern im Verteilungsnetz ohne erkennbare zeitgleiche Ursachen einer äußeren Verschmutzungsquelle. Manche Krankheitserreger können
darüber hinaus unter bestimmten Bedingungen in nicht mehr kultivierbare Stadien (VBNC) übergehen, dabei aber noch leben.  

Die Frage, ob diese VBNC-Stadien hygienisch von Bedeutung sind, also auch Infektionen auslösen können, wird zur Zeit noch kontrovers diskutiert. Für einige Arten (Vibrio cholerae, Legionellen) verdichten sich allerdings die Hinweise auf eine Infektiosität der VBNC-Stadien.
Außerdem führen Biofilme zu einer erhöhten Chlorzehrung im Leitungsnetz mit der Bildung von toxischen Reaktionsnebenprodukten und tragen z.B. durch lokale Veränderung der physiko-chemischen Umgebungsparameter zu Korrosionsprozessen bei. Nicht zuletzt bilden Biofilme eine Nahrungsgrundlage für höhere Organismen im Wassersystem (siehe weiter unten).

Meist spielen im Trinkwasserverteilungsnetz der öffentlichen Wasserversorger eher Nährstoffe aus dem Wasser eine ausschlaggebende Rolle für die Biofilmbildung, da die Rohrleitungen aus Materialien wie Gusseisen oder Zement bestehen, die keine oder nur wenig Nährstoffe abgeben. Das Biofilmbildungspotential durch das freie Wasser lässt sich durch Bestimmung der Nährstoffkonzentration abschätzen. Dabei spielt jedoch nicht die Gesamtkonzen-
tration, wie sie mit chemisch-physikalischen Methoden bestimmt wird (TOC, CSB), die ausschlaggebende Rolle, sondern nur der Anteil,der von Mikroorga-
nismen verwertet werden kann. Zur Bestimmung des Anteils an mikrobiell assimilierbarer organischer Kohlenstoffverbindungen (AOC) im Wasser wurden
verschiedene Methoden beschrieben. Bei Nutzung von Rohwasser hoher Qualität und/oder guter Aufbereitung und resultierenden geringen AOC-Werten
(AOC< 10 µg/L Acetat - C-Äquivalente) im vom Wasserwerk abgegebenden Wasser sind die Biofilme typischerweise sehr dünn und ohne spezielle
Untersuchungsmethoden kaum nachweisbar. Ein verstärkter Eintrag von Algen oder höheren Organismen aus dem Rohwasser bei ungenügender Aufbereitung
liefert jedoch eine Grundlage für mikrobielles Wachstum und kann zu erhöhter Biofilmbildung beitragen. Auch im Falle der Einbringung von Nährstoffen in das
Verteilungssystem bei Reparaturen oder durch ungeeignete Materialien (best. Dichtungen, Schmiermittel, Gummi-beschichtete Schieber,etc.) kann es lokal zur
(temporären) Biofilmakkumulation kommen.

In der Hausinstallation können Nährstoffe, die aus ungeeigneten, nicht entsprechend geprüften Materialien freigesetzt werden, die Hauptrolle bei der Biofilmbildung spielen. In diesem Bereich wird aufgrund des ungünstigeren Oberflächen-/Volumen-Verhältnisses und der möglichen Stagnationsbedingungen die Beeinflussung der Mikroorganismenpopulationen durch die freigesetzen Stoffe immer größer. Beim Einsatz ungeeigneter Materialien kann es zur Bildung
von dicken Biofilmen und damit zu einer massiven Verschlechterung der hygienischen Qualität des Trinkwassers auf den letzten Metern hin zum Verbraucher kommen.  
In besonderen Fällen können Mikroorganismen durch Verwertung von Weichmachern oder Füllstoffen sogar die Stabilität und Integrität des Materials negativ beeinflussen. Auch Filter zur Wasserbehandlung (z.B. Enthärtung) im Haus können ein Reservoir von Bakterien sein, da sich auf ihren Oberflächen vor allem bei ungenügender Wartung ebenfalls Biofilme bilden können.

Hygienisch relevante Biofilmorganismen in der Hausinstallation sind Pseudo-
monas aeruginosa und Legionellen. Während Pseudomonaden auf vielen Materialien selbst wachsen und Biofilme aufbauen können, sind Legionellen auf das Vorhandensein von Biofilmen und sich darin befindlicher Amöben angewiesen. Sie können sich intrazellulär in den Amöben vermehren und werden unter bestimmten Bedingungen zu hunderten oder tausenden aus dem Biofilm wieder abgegeben. Ein besonderes Problem des intrazellulären Wachstums von
Legionellen stellt die hohe Chlorresistenz von Amöbenzysten dar. Legionellen, die in Amöbenzysten eingeschlossen sind, sind gegen bis zu 50mg Chlor/L
geschützt.  

Sowohl Legionellen als auch Pseudomonasaeruginosa stellen besonders im Krankenhausbereich  bei vorgeschädigen Patienten ein Problem dar.
Durch die zunehmende Verlagerung der Behandlung von Patienten in den ambulanten Bereich kommt jedoch der Hausinstallation im privaten Bereich eine zunehmende Bedeutung zu. Um den Problemen in der Hausinstallation Rechnung zu tragen, wurden in der neuen Trinkwasserverordnung Hausinstallationsanlagen als Begriff eingeführt (§ 3) und Bestimmungen für deren Bau (§ 17) und Überwachung (§ 18) erlassen.

Einmal gebildete Biofilme lassen sich nur sehr schwer wieder entfernen. Dies ist darin begründet, dass die Bakterien in der Gemeinschaft der Biofilme sehr
gut gegen unterschiedlichste Desinfektionsmittel wie Chlorverbindungen und Wasserstoffperoxid geschützt sind. Erst nach längerer Einwirkzeit von Chlor-
verbindungen ist möglicherweise eine Schädigung der Zellen im Biofilm zu beobachten. Beim Einsatz von Wasserstoffperoxid ist der Erfolg der Behandlung
noch fraglicher, da Bakterien im Biofilm Katalasen bilden und damit das Wasserstoffperoxid in ungiftige Produkte zersetzen können. Besonders problematisch wird der Einsatz von Desinfektionsmitteln in alten Leitungsrohren mit Ablagerungen von Eisen- oder Manganoxiden, da die dann vorhandenen Krusten und Blasen als geschütztes Rückzugsgebiet für die Bakterien fungieren können. Es besteht die Möglichkeit, Biofilme durch eine technisch und finanziell recht aufwendige mechanische Reinigung (Molchen) zu entfernen.

Einschränkend muss hierzu angemerkt werden, dass im Regelfall nur eine Teilreinigung
erreicht werden kann, bei der die Biofilme nicht vollständig entfernt werden.
Die routinemäßige Trinkwasserüberwachung, bei der in regelmäßigen Abständen Wasserproben entnommen werden, liefert keine verlässlichen Informationen über das Vorhandensein und das Ausmaß von Biofilmen im Leitungsnetz. Mikroorganismen werden aus Biofilmen nämlich nicht kontinuirlich freigesetzt, sondern können zeitweise in hohen Konzentrationen aus den Biofilmen ins freie Wasser übergehen und zeitweise gar nicht. Dadurch bleiben Probleme mit Biofilmen oft über längere zeit unerkannt. Es kann aber auch zu unerklärlichen zeitlich und räumlich begrenzten Grenzwertüberschreitungen
kommen. Um eine Information über die Besiedlung der Oberflächen zu erhalten, müssen die Oberflächen selbst beprobt werden. Für diesen Zweck wurden
bereits viele Methoden beschrieben. Neben den klassischen Kultivierungsmethoden kommen vor allem diverse mikroskopische und molekularbiologische
Methoden zum Einsatz wie DAPI-Färbung und Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung jeweils in Kombination mit Epifluoreszenzmikroskopie, sowie verschiedene
PCR-Verfahren (lit). Die meisten dieser neuen Verfahren sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch zu aufwendig, um routinemäßig eingesetzt werden zu können. Da sowohl die Überwachung von Biofilmen, als auch deren Entfernung aufwendig ist, kommt vorbeugenden Maßnahmen die entscheidende Bedeutung zu. Die wichtigsten Maßnahmen zur Vermeidung von Biofilmen sind die Reduktion der Nährstoffe im Wasser durch Ressourcenschutz und adäquate Aufbereitung sowie die Verwendung von für das Trinkwasser geeigneten Materialien.

©  Marc Husmann   Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.