Sonntag, 19. März 2017

Das Versicherungsgutachten


a) Allgemeines


Der Leistungsbereich der Versicherer ist so umfassend, dass dieser nicht im Einzelnen aufgeführt werden kann. Aus der Vielzahl der möglichen Versicherungsarten sind zunächst die Bereiche der Haftpflichtversicherung und Sachversicherung hervorzuheben. Entsprechend den Versicherungsverträgen hat der Versicherer die Aufgabe, unberechtigte Forderungen Dritter abzuwehren und den Versicherungsnehmer in einem Rechtsstreit zu unterstützen. Haftet der Versi-
cherungsnehmer nach den Vereinbarungen des Versicherungsvertrages, so hat der Versicherer auch ein eigenes Interesse, die Schadenskosten in wirtschaftlichem Umfang zu regulieren. Um die Aufgabe aber erfüllen zu können, benötigt der Versicherer geeignete Sachverständige.
Der Sachverständige kann seine Aufgabe als Berater des Versicherers nur dann gut lösen, wenn ihm auch die Versicherungsvertragsgrundlagen bekannt sind. Es ist deshalb für den Sachverständigen wichtig, sich entsprechende Vertragsunterlagen zu beschaffen.
In der Regel greifen die Versicherungsgesellschaften auf Sachverständige zurück, die sich „bewährt“ haben, d. h. dass die Gutachten:



  • kurzfristig erstellt werden
  • klar und deutlich gegliedert sind
  • die Örtlichkeit anschaulich beschreiben
  • die Schadensursache beschreiben
  • die Verantwortungsbereiche aus technischer Sicht darstellen
  • und Angaben enthalten zu Auftraggeber und Parteien
  • Schadens- und Versicherungsscheinnummer
  • Ursachen
  • zur Schadensbehebung/Wiederherstellung
  • wirtschaftliche Schadensbehebung
  • zu den Kosten der Schadensbeseitigung
  • zur Bewertung des Zugewinns „neu für alt“
  • zu „Sowiesokosten“
  • zur Wertminderung bei nicht behebbaren Schäden
  • zur Feststellung evtl. Nebenkosten
  • zur Haftung der Beteiligten
  • zur Mithaftung Dritter


Wichtig ist auch eine möglichst frühe Besichtigung der Schadensörtlichkeit, insbesondere im Bereich der Sachversicherung. Bei Feuerschäden ist es naheliegend, dass möglichst schnell die Beweissicherung des Schadensumfangs durchgeführt werden muss. Dazu sind dokumentierende Farbfotos zu fertigen, aus denen der Schadensumfang auch im Detail erkennbar ist.

Gutachten sollten darüber hinaus, sofern dies möglich ist, alle Angaben über Daten enthalten, die zur Beurteilung des Versicherungsschutzes herangezogen werden können.

Beispiel:
„Wird mit der Errichtung eines Gebäudes begonnen, bevor die Baugenehmigung vorliegt, und enthält diese später Auflagen, gegen die bereits errichtete Bauteilausführungen verstoßen, wird in der Regel von den Versicherern kein Versicherungsschutz gewährt“.

Es ist deshalb wichtig, dass der Sachverständige die einschlägigen Ausschlussbestimmungen der Versicherungsverträge kennt. Zur Zeit werden insbesondere in Architekten- und Ingenieurverträgen erhebliche Veränderungen in den Versicherungsverträgen vorgenommen/vereinbart.
b) Ausschlüsse bei Haftpflichtschäden
In den allgemeinen Haftpflichtversicherungsverträgen für Architekten und Ingenieure werden im Allgemeinen ausgeschlossen:

aa) Erfüllungsansprüche


Dies sind Leistungen, die Gegenstand eines Vertrages sind, wenn beispielsweise ein Schaden durch einen Fehler in der Tragwerksplanung entsteht und eine neue statische Berechnung für eine Schadensbeseitigung erforderlich wird.

bb) Erweiterte gesetzliche Ansprüche


Solche Ansprüche können auftreten, wenn der Versicherungsnehmer eine Verlängerung der gesetzlichen Verjährungsfrist vereinbart oder der Beginn der Verjährungsfrist hinausgeschoben wird. In diesen Fällen bleibt der Versicherer nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen zur Erfüllung der Ansprüche verpflichtet.

cc) Vertragsstrafen


Sie schließen den Versicherungsschutz aus, wenn beispielsweise eine Vereinbarung von Vertragsstrafen in Verbindung mit Fristen und Terminen getroffen wird.

dd) Überschreitung der Bauzeit sowie von Fristen und Terminen


Ein solcher Vertragsausschluss wird nur dann wirksam, wenn der Versicherungsnehmer mit seinem Auftraggeber die Fertigstellung eines Werkes fest vereinbart, nicht jedoch, wenn die Bauzeitverzögerung z. B. durch den Versicherungsnehmer verschuldet wurde.
Überschreitung ermittelter Maße oder Kosten, fehlerhafte Maße oder Kostenermittlung
Diese beiden Ausschlüsse gehören inhaltlich zusammen. Sie sind verbindliche Vereinbarungen mit dem Auftraggeber über Kosten. Der Versicherer will damit der Manipulationsgefahr im kalkulatorischen Bereich entgegentreten.

ff) Auslandsschäden


Der Versicherer gewährt in der Regel nur Versicherungsschutz für Schäden, die der Versicherungsnehmer in Deutschland verursacht. Hier sind jedoch Bestrebungen im Gange, dass Versicherer Schäden auch europaweit (EG-Risiken) abdecken. Diese müssen zur Zeit noch besonders vereinbart werden.

gg) Auftragserteilung in eigenem Namen


Dieser Ausschluss gilt für Haftpflichtschäden, wenn der Versicherungsnehmer für sich selbst und in eigenem Namen Aufträge erteilt. Gleiches gilt für Haftpflichtschäden von Angehörigen des Versicherungsnehmers, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben und im Versicherungsvertrag mit versichert sind.

hh) Versicherungsnehmer, die im selben Vertrag mit versichert sind


Das sind alle in einem Vertrag benannten natürlichen oder juristischen Personen, eigene Firmen und sonstige, die zu dem Versicherten in wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen.
Durch den derzeitigen starken Wettbewerb der Versicherer ist es möglich, dass einzelne vorgenannte Ausschlüsse gestrichen werden. Möglicherweise sind auch weitere Ausschlüsse in den Verträgen festgeschrieben. Aus diesem Grunde ist es ratsam, sich als Sachverständiger mit den allgemeinen und den individuellen Versicherungsbedingungen vertraut zu machen.

c) Die Ladung


Je nach Art des zu fertigenden Gutachtens müssen alle betroffenen Parteien über den durchzuführenden Ortstermin informiert werden. Sofern eine Partei den Termin nicht wahrnehmen kann, sollte ein neuer Termin vereinbart werden. Die notwendigen Voraussetzungen für die Besichtigung der zu begutachtenden Bauteile sind zuvor abzustimmen.

d) Das Gutachten


Soweit zum Schadenshergang, zur Schadensanalyse und zur Schadensursache im Gutachten Stellung genommen wird, gelten die Grundsätze wie bei den Privatgutachten. Von Bedeutung ist bei Versicherungsgutachten auch die Frage nach dem Haftenden. So kann der Versicherer gegebenenfalls bei mehreren Haftenden Regress nehmen, wenn er von dem Geschädigten (Anspruchsteller) gesamt-
schuldnerisch in Haftung genommen wird. Die Ermittlung der Haftungsanteile kann in einem Gutachten nur nach technischer Bewertung vorgeschlagen werden. Für eine endgültige Bewertung sind juristische Gesichtspunkte ausschlaggebend. Diese werden jedoch im allgemeinen bei Versicherungsgutachten durch Juristen des Versicherers eingeschätzt bzw. festgelegt.

Versicherer sind Wirtschaftsunternehmen, die mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens überhöhte oder nicht berechtigte Kostenforderungen der Anspruchsteller abwehren müssen. Aus diesem Grunde sind evtl. von den Anspruchstellern vorgelegte Kostennachweise (z. B. Angebote/Rechnungen u. ä.) zu prüfen und gegebenenfalls nachzukalkulieren. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen zu
Baukosten, die zur Beantwortung von Kostenfragen herangezogen werden.

e) Brandschäden


Brandschäden fallen in den Bereich der Sachversicherung. Bei einem Brandgutachten ist es allgemein üblich, dass zwei Sachverständige gemeinsam ein Gutachten erarbeiten, wobei der eine Sachverständige den/die Anspruchsteller, der andere Sachverständige die Versicherer/Versicherungsnehmer vertritt. In einem Brandgutachten ist zunächst zu unterscheiden, ob zwischen dem Versicherer und den Versicherten ein Vertrag mit Neuwert oder Zeitwert vereinbart
wurde. Soweit der Neuwert in dem Versicherungsvertrag vereinbart wurde, werden alle Kosten ersetzt, soweit diese zur Wiederherstellung des durch den Brand zerstörten Gebäudes erforderlich wurden. Auch solche Kosten, die zur Verhinderung einer Schadensvergrößerung beitragen (z. B. Löscharbeiten, sowie Aufräumungsarbeiten und Nebenkosten), werden mit ersetzt. Anders verhält es sich bei dem Vertrag nach Zeitwert. Dort werden die wertsteigernden (neu für alt) Wiederherstellungskosten, die Aufräum- und sonstigen Nebenkosten nur anteilsmäßig von dem Versicherer ersetzt.
Sofern bei der Ursachenfeststellung auch der Verursacher des Brandschadens ermittelt werden kann, wird der Versicherer diesen in Regress nehmen. Hieraus könnte ein Haftpflichtschaden werden, wenn beispielsweise ein Brandschaden durch Unachtsamkeit bei Schweißarbeiten entsteht.
In einem Brandgutachten sind folgende Angaben erforderlich:


  • Auftraggeber und Parteien
  • Schadens- und Versicherungsscheinnummer
  • Grund und Zweck des Gutachtens
  • Grundlagen des Gutachtens
  • örtliche Feststellungen
  • Ursachenermittlung
  • Folgerungen
  • Bewertungen (Kostenermittlung, ggf. Zeitwertermittlung)
  • Schlussbemerkung.

Sofern bei der Ursachenermittlung Dritte als Verursacher haften, sind die ermittelten Fakten aus Sachverständigensicht in das Gutachten mit aufzunehmen.
Vermutungen dürfen nicht oder nur mit entsprechend deutlichem Hinweis geäußert werden.

f) Die Bauleistungsversicherung (auch Bauwesenversicherung genannt)


Durch eine Bauleistungsversicherung können vom Baubeginn bis zur Abnahme die Bauleistungen gegen unvorhergesehene Beschädigungen oder Zerstörungen versichert werden. Dabei kann Versicherungsnehmer sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer sein. Bei den Allgemeinen Bedingungen für die Bauwesenversicherung von Gebäudeneubauten durch Auftraggeber (ABN) sind Gegenstand der Versicherung die Bauleistungen, die Baustoffe und die Bauteile sowie einzubauende übliche Einrichtungsgegenstände. Diese Versicherung greift
ein, wenn der Auftraggeber eine untergegangene Leistung vergüten muss, weil er dafür nach § 7 VOB/B die Gefahr trägt. Bei den Allgemeinen Bedingungen für die Bauwesenversicherung von Unternehmerleistungen (ABU) sind Gegenstand der Versicherung die Bauleistungen, Baustoffe, Bauteile und Bauhilfsstoffe. Hier greift die Versicherung ein, wenn dem Auftragnehmer ein Schaden infolge einer Beschädigung oder Zerstörung entsteht.
Vielfach bezieht der Auftraggeber den Auftragnehmer durch Umlageklauseln anteilig in seine Versicherungsprämie ein. Grundsätzlich gilt, dass nach Abnahme bzw. Bezug des Gebäudes die Eintrittspflicht des Bauleistungsversicherers endet.

Gutachten für Bauleistungsversicherungen werden in „Kurzform“ erstellt. Dar-
zustellen ist:


  • Auftraggeber und Parteien
  • Schadens- und Versicherungsscheinnummer
  • der Sachverhalt des Schadens, ggfls. auch eines Unfalls
  • örtliche Feststellungen
  • die Voraussetzung des Versicherungsschutzes
  • die Kosten zur Beseitigung des Schadens in detaillierter Aufstellung
  • Zusammenfassung


Zur Schadensbeseitigung sind die an dem Bau beteiligten Firmen zu beauftragen, wobei die Einheitspreise ohne Wagnis und Gewinn in Ansatz gebracht werden. Auch hier können im sog. Sachverständigenverfahren von den jeweiligen Parteien, dem Anspruchsteller bzw. dem Versicherer, je ein Sachverständiger beauftragt werden, die dann gemeinsam den Umfang des Schadens und die
Kosten zur Schadensbeseitigung feststellen.

g) Allgemeiner Hinweis


Generell gilt auch bei Versicherungsgutachten, dass in diesen, wie bei den Privatgutachten,


  •  der Auftraggeber
  •  die Auftragserteilung
  •  der Auftragsumfang usw. benannt werden.



Des Weiteren sind auf dem Deckblatt oder als Erstinformation im Versicherungsgutachten anzugeben:


  • Anspruchsteller
  • Versicherungsnehmer
  • Schadens- und Versicherungsscheinnummer
  • Datum des Gutachtenauftrages
  • Ortstermin (e)
  • anwesende Personen
  • Gegenstand des Gutachtens und
  • bei Brandgutachten auf der ersten Seite der Neu- und Zeitwert.

©  Marc Husmann   Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.