Sonntag, 19. März 2017

Die gerichtliche Tätigkeit


Für die Rechtsuchenden ist der Sachverständige ein Beweismittel wie der Zeugenbeweis. Das wird schon dadurch deutlich, dass § 402 ZPO klarstellt, dass für den Beweis durch Sachverständige die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend gelten. Der Sachverständige hat über diese Stellung hinaus jedoch eine Funktion, die ihn von dem Zeugen unterscheidet. Während der Zeuge ausschließlich über Wahrgenommenes zu berichten hat, ist der Sachverständige der technische Berater des Gerichts. Er ersetzt den fehlenden technischen Sachverstand der Richter. Der Richter bedient sich zur Beurteilung technischer Zusammenhänge eines Experten, der für diese Beurteilung spezialisiert ist. Verfügt der Richter selbst über die notwendige Sachkunde, bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht, auch wenn die Parteien dies beantragen.
In der technischen Beratung erschöpft sich aber auch die Tätigkeit des Sachverständigen. Es ist nicht seine Aufgabe, juristische Fragen zu lösen. Dafür ist der Richter Spezialist. Dennoch ist immer wieder festzustellen, dass Sachverständige sich auch juristisch äußern. Das gilt vor allem bei Fragen zur Minderung der Vergütung und bei baubetrieblichen Gutachten. Abgesehen davon, dass
derartige Darlegungen vielfach falsch sind oder dazu führen, dass die Beweisfragen nur unzulänglich beantwortet werden, gibt es auch überhaupt keinen Bedarf für juristische Darlegungen von Sachverständigen. In juristischen Fragen ist der Sachverständige Amateur, der Richter Profi. Ein Profi bedarf zur Bewältigung der ihm übertragenen Aufgabe aber nicht der „Hilfe“ eines Amateurs.

Die besondere Stellung des Sachverständigen als technischer Berater des technisch nicht versierten Richters hat zur Konsequenz, dass der Sachverständige gehalten ist, sich in Verfahrensfragen wie ein Richter zu verhalten. Der Sachverständige hat das von ihm geforderte Gutachten unparteiisch zu erstatten (§ 410 Abs. 1 ZPO). Er darf keine Feststellungen treffen, ohne beiden Parteien Gelegen-
heit zu geben, an diesen Feststellungen teilzunehmen. Der Sachverständige kann zudem aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Diese Nähe zum Gericht hat nicht selten zur Folge, dass Richter gutachterliche Äußerungen von Sachverständigen ungeprüft übernehmen.

Das Vertrauen in die Fähigkeit eines Sachverständigen entbindet das Gericht jedoch nicht von seiner Aufgabe, auch Äußerungen zu technischen Zusammenhängen kritisch zu hinterfragen. Auch der erfahrene technische Berater kann ungenügende Feststellungen treffen, Festgestelltes unzulänglich bewerten oder sich missverständlich ausdrücken. Bei manchen Sachverständigen
führt die Nähe zu Vertretern des eigenen Berufsstandes auch dazu, dass die Werkleistung nicht so kritisch untersucht wird wie es zur sachgerechten Beurteilung des Falles eigentlich erforderlich wäre. Der Sachverständige muss sich deshalb jederzeit im Klaren darüber sein, dass unsorgfältige Arbeit oder von Sympathie oder Antipathie beeinflusste Darlegungen dazu führen können, dass
der Richter zu einem falschen Ergebnis und damit zu einem ungerechten Urteil kommt. Das würde dem von ihm geleisteten Eid widersprechen. Im Lichte dieser Prämisse ist die Tätigkeit des Sachverständigen vor Gericht zu beurteilen.

Das Ermessen des Gerichts bei der Auswahl des Sachverständigen findet seine Grenze, wenn sich die Parteien auf eine bestimmte Person als Sachverständigen geeinigt haben. In diesem Fall hat das Gericht gemäß § 404 Abs. 4 ZPO dieser Einigung Folge zu leisten.

Um Streit über die Qualitäten eines Sachverständigen zu vermeiden oder in den Fällen, in denen bundesweit nur wenige Sachverständige über das notwendige Fachwissen verfügen, kann das Gericht die Parteien auffordern, Personen zu bezeichnen, die geeignet sind, als Sachverständige vernommen zu werden (§ 404 Abs. 3 ZPO). Allerdings kommt es in derartigen Fällen nicht selten vor, dass
Parteien den Vorschlag der jeweils anderen Partei ablehnen.
Stellt sich innerhalb einer mündlichen Verhandlung die Frage der Beauftragung eines Sachverständigen, empfiehlt es sich, eine Einigung der Parteien über einen vom Gericht vorgeschlagenen Sachverständigen schon zu diesem Zeitpunkt zu erzielen, da in derartigen Fällen die notwendige Akzeptanz der gutachterlichen Feststellungen zu erwarten ist.
Einigen sich die Parteien nicht auf einen Sachverständigen und schlagen sie auch keine geeigneten Personen vor, ist es wie dargelegt Aufgabe des Gerichts, den Sachverständigen auszuwählen. Das Gericht sollte dabei vorzugsweise Sachverständige auswählen, deren Fähigkeiten ihm aufgrund geleisteter bisheriger Gutachtenerstattungen bekannt sind. Dabei sollte der Sachverständige in der
Vergangenheit nicht nur bewiesen haben, dass er über das notwendige Fachwissen verfügt, sondern er sollte auch gezeigt haben, dass er bei einer Befragung durch das Gericht und/oder die Parteien in der Lage ist, das von ihm gefundene Ergebnis zu verteidigen. Ein Sachverständiger, der bei seiner münd-
lichen Anhörung argumentativ nicht geeignet ist, seine getroffenen Feststellungen zu verteidigen, verunsichert das Gericht und die Parteien und entwertet damit seine schriftlichen Feststellungen, auch wenn sie wissenschaftlich fundiert sind.

Der auszuwählende Sachverständige sollte in der Vergangenheit auch bewiesen haben, dass er in der Lage ist, sein Gutachten innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erstatten. Lange Prozesse kosten die Parteien Zeit, Geld und Nerven. Auch für die Rechtsanwälte stellen sie eine Belastung dar, da sie gezwungen sind, sich neu in die Materie einzuarbeiten, wenn zwischen mündlicher Ver-
handlung, Ortstermin und schriftlichem Gutachten zu viel Zeit vergeht. Dass sie zusätzlich auch gezwungen sind, ihre Mandanten ständig vertrösten zu müssen, liegt auf der Hand. Schließlich schaden lange Prozesse auch dem Ansehen der Justiz, da für den Rechtsuchenden vielfach nicht erkennbar ist, warum das Gericht innerhalb einer überschaubaren Zeit nicht zu einem Ergebnis kommt. Ein Sachverständiger, der mit den Vorbereitungen der Gutachtenerstellung nicht
sofort beginnen kann, sollte das Gericht auf die zu erwartende Verzögerung hinweisen. Einem Sachverständigen, der monatelang zeitlich nicht in der Lage ist, ein Gutachten zu erstellen, sollte der Auftrag wieder entzogen werden, es sei denn, er verfügt über ein so besonderes Fachwissen, dass die Suche nach einem gleichwertigen anderen Gutachter auch Monate in Anspruch nehmen würde.

Abstand nehmen sollte das Gericht auch von der Beauftragung von Sachverständigen, die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass ihnen die notwendige Sensibilität für diese Tätigkeit fehlt. Richter, die - was leider viel zu selten vorkommt - an Ortsterminen von Sachverständigen teilnehmen, sind mitunter entsetzt, in welchem Tonfall sich Sachverständige bei derartiger Gelegenheit äußern. Äußerungen wie „eine so schlechte handwerkliche Leistung habe ich noch nie gesehen“ oder die Antwort an eine Partei „Junge, erzähl' mir nichts“ begründen die Besorgnis der Befangenheit. Eine erfolgreiche Ablehnung eines Sachverständigen hat aber in der Regel zur Folge, dass sich der Prozess erheblich verzögert, da dann ein neuer Sachverständiger beauftragt werden muss. Auch wenn
Sachverständige wiederholt eine mangelhafte Leistung eines bestimmten Handwerkers begutachtet haben, müssen sie sich immer wieder bewusst machen, dass sie sich unparteiisch zu verhalten haben. Ein Sachverständiger, der diesemGewähr nicht jederzeit bietet, ist ungeeignet.

©  Marc Husmann   Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.