Montag, 14. August 2017

Heranziehung zu Trinkwassergebühren: Beweislast für die fehlerfreie Funktionsweise des Wasserzählers

Heranziehung zu Trinkwassergebühren: Beweislast für die fehlerfreie Funktionsweise des Wasserzählers

Leitsatz


1. Für die richtige Anzeige des Wasserzählers trägt die Behörde die Beweislast.

2. Es liegt kein Fall der Beweisvereitelung durch den Gebührenschuldner vor, wenn dieser unterlässt, binnen 8 Tagen nach Ausbau des Zählers eine Überprüfung zu verlangen, obwohl er im Zählerwechselschein auf diese Frist hingewiesen wurde.

Tatbestand

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Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu Trinkwassergebühren betreffend das Jahr 2011.
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Sie sind Miteigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt, Ortsteil A.. Am 19. Februar 2005 wurde auf dem Grundstück der Wasserzähler mit der Nummer ... eingebaut.
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Nach den Angaben der Kläger gegenüber dem Beklagten betrug der Zählerstand zum 11. Dezember 2009 173 m³. Für das Jahr 2010 veranlagte der Beklagte die Kläger mit Bescheid vom 02. Februar 2011 hinsichtlich einer geschätzten Verbrauchmenge von 16 m³, wobei er einen Zählerstand zum 01. Januar 2010 von 174 m³ zugrunde legte.
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Am 30. August 2011 erfolgte durch den Beklagten ein Zählerwechsel. Im darüber gefertigten Zählerwechselschein ist für den (alten) Zähler ein Stand von 1.236 vermerkt. Der neu eingebaute Zähler mit der Nummer 389155 hatte ausweislich des Zählerwechselscheins einen Stand von 0. Auf dem Zählerwechselschein finden sich Angaben über die Zählernummer, Standort, Jahr der letzten und der nächsten Eichung, Einbaudatum, Zählergröße, Zählertyp, Zählerstand, Anzahl der angeschlossenen Wohneinheiten und Personen, Anschlussmaterial, Bauart und Größe der Anschlussleitung. Daran anschließend folgt im unteren Drittel folgender Fließtext:
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„Sehr geehrte Damen und Herren,
gemäß Anhang B zu den §§ 12 und 14, Ordnungs-Nr. 6.1 der Eichordnung vom 12. August 1988 (BGBl. I S. 1657) in der derzeit geltenden Fassung wurde der Wasserzähler am heutigen Tag gewechselt. Der Wechsel wurde aufgrund der abgelaufenen Eichpflicht von 6 Jahren notwendig. Den Entstand des alten Zählers und den Anfangsstand des neuen Zählers finden Sie obenstehend zur Kontrolle der Rechnung vermerkt. Bedenken an der Richtigkeit des Zählerstands des ausgebauten Zählers müssen wegen der Prüfbarkeit innerhalb einer Frist von 8 Tagen dem Trinkwasserzweckverband „Südharz“, Am Brühl 7, 06526 Sangerhausen gemeldet werden. Der neue Zähler wird Ihnen hiermit ordnungsgemäß verplombt übergeben. Für die Beschädigung oder den Verlust der Meßeinrichtung haften Sie. Jede Beschädigung oder das Fehlen der Plomben ist unverzüglich anzuzeigen.“
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Der Zählerwechselschein wurde von der Klägerin zu 1) unterzeichnet.
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Mit Bescheid vom 02. Februar 2012 zog der Beklagte die Kläger zu Trinkwassergebühren für das Jahr 2011 in Höhe von 2.610,50 Euro heran. Dabei entfallen ein Betrag von 118,13 Euro auf die Grundgebühr und ein Betrag von 2.492,37 Euro auf die Verbrauchsgebühr. Letzterer legte er einen Wasserverbrauch von insgesamt 1.316 m³ zugrunde, wobei er für den Zeitraum vom 01. Januar bis 30. August vom Anfangszählerstand 190 m³ und vom Endzählerstand 1.236 m³ sowie für den Zeitraum vom 31. August bis 31. Dezember vom Anfangszählerstand 0 und vom geschätzten Endzählerstand 270 m³ ausging.
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Dagegen erhoben die Kläger am 14. Februar Widerspruch und machten geltend: Zum einen sei der Zählerstand des neuen Zählers zum 31. Dezember 2011 fehlerhaft, da er am 03. Februar 2012 15 m³ betrage. Zum anderen sei die bis zum 30. August 2011 angesetzte Menge nicht nachvollziehbar. Ein Protokoll über den Zählerwechsel liege ihnen nicht vor, weshalb nicht nachvollzogen werden könne, ob eine korrekte Ablesung erfolgt sei. Darüber hinaus sei die Menge unplausibel, da in den vergangenen vier Jahren bis einschließlich November 2011 lediglich 3 Personen auf dem Grundstück gelebt hätten und die angesetzte Menge voraussetzte, dass über mehrere Wochen eine Dauerentnahme von Wasser erfolgt sei, woran es fehle.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der zugrunde gelegte Verbrauch sei geschätzt worden, da am 19. Dezember 2011 auf dem Grundstück der Kläger niemand angetroffen worden und eine Ablesung nicht möglich gewesen sei und die Kläger zudem auch das hinterlegte Selbstableseformular nicht zurückgesandt hätten. Die Schätzung basiere auf dem bei Ausbau des alten Zählers abgelesenen Zählerstand. Da eine Prüfbarkeit des Zählerstands aus technischen Gründen nur innerhalb von 8 Tagen nach dessen Ausbau möglich sei, was auch auf dem Wechselformular vermerkt sei, könne nun nicht mehr nachvollzogen werden, ob ein technischer Fehler vorgelegen habe.
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Die Kläger haben am 02. Mai 2012 Klage erhoben. Zur Begründung machen sie geltend: Über das Vermögen des Klägers zu 2) sei bereits durch Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt (Saale) vom 02. Dezember 2011 (59 IN 582/11) das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der vom Beklagten zugrunde gelegte Wasserverbrauch sei zudem nicht nachvollziehbar und unmöglich, da das Grundstück von 3 Personen bewohnt werde und zudem eine Pumpe vorhanden sei, mittels derer Wasser zum Waschen, Spülen und für die Toilette gewonnen werde. Für das Jahr 2010 habe der Beklagte einen Verbrauch von 16 m³ abgerechnet. Offensichtlich sei der gewechselte Wasserzähler defekt gewesen oder der Beklagte gehe von fehlerhaften Zahlen aus.
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Die Kläger beantragen,
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den Bescheid des Beklagten vom 02. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. April 2012 aufzuheben, soweit damit eine Verbrauchsgebühr in Höhe von 2.492,37 Euro erhoben wird.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Da die Kläger nicht innerhalb von 8 Tagen nach Ausbau des alten Wasserzählers dessen Überprüfung verlangt hätten, worauf sie im Zählerwechselschein hingewiesen worden seien, sei davon auszugehen, dass der Zähler ordnungsgemäß funktioniert habe. Diese Frist sei aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und aus technischen Gründen gerechtfertigt. Erhebe der Gebührenschuldner zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Befundprüfung nicht mehr möglich sei, Einwendungen gegen die Richtigkeit des Zählerstands, liege ein Fall der Beweisvereitelung vor, der zu einer Beweislastumkehr führe. Es sei dem Schuldner zuzumuten, den Zählerwechselschein sorgfältig durchzulesen und den festgestellten Zählerstand und den sich daraus ergebenden Verbrauch zu prüfen. Er verstoße gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn er die im Zählerwechselschein genannte Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen die Richtigkeit des Zählerstands verstreichen lasse. Eine Überprüfung des Zählers sei nicht mehr möglich, da er nicht mehr vorhanden sei. Die Zähler würden 10 Tage nach deren Ausbau an den Hersteller zurückgesandt, der darüber entscheide, ob sie nochmals saniert und veräußert werden oder nicht.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.
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1. Die zulässige Klage der Klägerin zu 2) ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist in dem zur Überprüfung stehenden Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1) in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die der Festsetzung der Verbrauchsgebühr zugrunde liegende Schätzung der Wasserverbrauchsmenge im Jahr 2011 durch den Beklagten fehlerhaft ist und nicht als Grundlage für eine Gebührenfestsetzung verwendet werden kann.
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Nach § 1 Abs. 2 Buchstaben a der Beitrags-, Kostenerstattungs- und Gebührensatzung zur Wasserversorgungssatzung des Beklagten vom 11. Juni 2007 in der Fassung der 2. Neufassung vom 13. Oktober 2011 (BKGS) erhebt der Beklagte nach Maßgabe dieser Satzung verbrauchsabhängige Benutzungsgebühren (Verbrauchsgebühren) als Gegenleistung für die Inanspruchnahme der öffentlichen Wasserversorgungseinrichtungen, die gemäß § 3 Abs. 1 BKGS 1,77 Euro/m³ zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer betragen. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 BKGS erfolgt die Mengenermittlung in der Regel durch geeichte Messeinrichtungen. Bei Verbrauchern ohne Messeinrichtung oder bei einer fehlerhaften Zählung durch die Messeinrichtung wird der Verbrauch geschätzt, wobei grundsätzlich die Vorjahresverbrauchsmenge an Trinkwasser zugrunde zu legen ist (§ 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BKGS). Besteht eine entsprechende Vorjahresverbrauchsmenge nicht oder bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Menge des Vorjahresverbrauchs keine hinreichende Schätzungsgrundlage darstellt, so wird auf den durchschnittlichen Wasserverbrauch pro Kopf und Jahr im Verbandsgebiet abgestellt und darauf die entsprechende Schätzung gestützt (§ 3 Abs. 2 Satz 4 BKGS). Die Schätzung kann gemäß § 3 Abs. 2 Satz 5 BKGS bis zum zweifachen des durchschnittlichen Wasserverbrauchs betragen.
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Da der Beklagte satzungsrechtlich nicht bestimmt hat, dass als Berechnungsgrundlage für den Erhebungszeitraum (Kalenderjahr, vgl. § 8 Abs. 1 BKGS) der Wasserverbrauch in der Ableseperiode maßgeblich ist, die dem Schluss des Kalenderjahrs vorausgeht, und eine Ablesung tatsächlich nicht zum 01. Januar und zum 31. Dezember jeden Jahres erfolgt, ist der Wasserbezug allerdings immer – so auch hier – zu schätzen.
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Dies folgt aus § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG LSA i.V.m. § 162 AO. Nach der letztgenannten Norm hat die Behörde die Abgabengrundlagen zu schätzen, wenn sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei hat sie alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 AO).
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Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich dabei darauf, ob die Behörde eine sachgerechte Schätzmethode ausgewählt sowie in sich widerspruchs- und sonst fehlerfrei angewandt und dabei alle Umstände berücksichtigt hat, die für die Schätzung von Bedeutung sein können. Denn zur Schätzung, die stets prognostische Elemente enthält bzw. mit der eine ihr eigentümliche Unschärfe verbunden ist, ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG LSA i.V.m. § 162 AO die Behörde aufgerufen. Anders als die Finanzgerichtsordnung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) sieht zudem die Verwaltungsgerichtsordnung keine sinngemäße Geltung des § 162 AO für das gerichtliche Verfahren vor, weshalb das Gericht nicht befugt ist, die behördliche Schätzung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch eine eigene Schätzung zu ersetzen. Im Falle einer fehlerhaften Schätzung ist das Gericht vielmehr in seinen Entscheidungsmöglichkeiten auf die Aufhebung des Bescheids beschränkt.
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So verhält es sich hier. Die Schätzung des Beklagten ist fehlerhaft, weil sie nicht alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt.
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a) Der Beklagte stützt die Schätzung fehlerhaft auf einen Zählerstand zum 30. August 2011 von 1.236 m³. Zwar wurde ausweislich des über den Zählerwechsel gefertigten Zählerwechselscheins des Beklagten, den die Klägerin zu 1) unterzeichnet hat, ein entsprechender Zählerstand abgelesen. Die Berücksichtigung dieses Zählerstands im Rahmen der Schätzung der Wasserverbrauchsmenge setzt jedoch voraus, dass ein technisch einwandfrei funktionierender Zähler installiert war. Sind Umstände gegeben, die Zweifel an der Richtigkeit der Anzeige des Wasserzählers begründen und besteht im Hinblick darauf Streit über den Umfang des Wasserverbrauchs, obliegt dem Versorgungsunternehmen die Beweislast für die fehlerfreie Funktionsweise des Wasserzählers (Urteil der Kammer vom 28. Oktober 2011 – 4 A 93/11 HAL – Juris Rn 34). So liegt es hier, da die Klägerin zu 1) dargelegt hat, dass sich bei Berücksichtigung des abgelesenen Zählerstands ein nicht nachvollziehbarer übermäßig hoher Verbrauch ergäbe, der mehr als das 50fache des Vorjahresverbrauchs betrage. Der Beklagte hat den ihm danach obliegenden Beweis der Funktionsfähigkeit des Wasserzählers nicht geführt. Er kann sich insbesondere nicht auf einen Beweis des ersten Anscheins für die Richtigkeit der Anzeige des Wasserzählers berufen, da dies daran geknüpft ist, dass eine Überprüfung des Wasserzählers durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle für Messgeräte die Einhaltung der in der Eichordnung festgelegten Verkehrsfehlergrenzen ergeben hat (Urteil der Kammer vom 28. Oktober 2011 – 4 A 93/11 HAL – Juris Rn 34). Eine solche Überprüfung hat indes nicht stattgefunden und ist auch nicht mehr möglich, da der Wässerzähler beim Beklagten nicht mehr vorhanden ist.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten begründet der Umstand, dass die Klägerin zu 1) die Überprüfung des Wasserzählers nicht binnen 8 Tagen nach dessen Ausbau beim Beklagten beantragt haben, keine Beweislastumkehr infolge einer Beweisvereitelung seitens der Klägerin zu1).Die Klägerin zu1) hat dem Beklagten die Beweisführung nicht schuldhaft erschwert oder unmöglich gemacht. Es hat nicht die Klägerin zu1), sondern der Beklagte den Wasserzähler, auf dessen Zählerstandsanzeige er sich beruft, entsorgt. Der Beklagte hatte es in der Hand, zuvor die Funktionsfähigkeit des Wasserzählers prüfen zu lassen. Der Klägerin zu 1) kann auch nicht vorgeworfen werden, sie hätte die Beweisnot des Beklagten verschuldet. Es findet sich ausschließlich inmitten des Fließtextes des Zählerwechselscheins ein zudem nicht hervorgehobener Hinweis, wonach Bedenken an der Richtigkeit des Zählerstands binnen 8 Tagen beim Beklagten gemeldet werden müssten. Dieser Hinweis ist wegen seiner Einbettung in den Fließtext leicht zu überlesen, zumal es sich bei dem Zählerwechselschein nicht um einen Bescheid des Beklagten handelt und der Gebührenschuldner nicht mit Belehrungen über einzuhaltende Fristen rechnen muss. Daher lässt sich mit dem Hinweis auch keine entsprechende Obliegenheit begründen, die die Klägerin zu 1) unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Ob der Beklagte überhaupt eine derartige Obliegenheit begründen kann, etwa durch eine satzungsrechtliche Regelung, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
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Die Klägerin zu 1) ist auch nicht gehindert, die Fehlerhaftigkeit des Wasserzählers im Hinblick auf die Regelung in § 19 der Verordnung über die Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) vom 20. Juni 1980 einzuwenden (vgl. dazu VGH München, Urteil vom 24. Juli 1997 – 23 B 94.2165 – Juris Rn 25; Urteil vom 17. September 1998 – 23 B 96.1607 – Juris Rn 33). Nach Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift kann der Kunde jederzeit die Nachprüfung der Messeinrichtungen durch eine Eichbehörde oder eine staatlich anerkannte Prüfstelle im Sinne des § 6 Abs. 2 des Eichgesetzes verlangen. Die Kosten der Prüfung fallen nach § 19 Abs. 2 AVBWasserV dem Unternehmen zur Last, falls die Abweichung die gesetzlichen Verkehrsfehlergrenzen überschreitet, sonst dem Kunden. Diese Vorschrift gibt nichts dafür her, dass der Einwand der fehlenden Funktionsfähigkeit des Wasserzählers nicht mehr erhoben werden kann, wenn eine Nachprüfung mit der Übernahme des entsprechenden Kostenrisikos nicht beantragt worden ist (so aber wohl VGH München, a.a.O.). Sie räumt lediglich dem Kunden das Recht ein, jederzeit die Nachprüfung zu verlangen, ohne dass dies allerdings an eine zuvor erklärte Übernahme des Kostenrisikos geknüpft ist. Wer die Kosten der Prüfung zu tragen hat, ist in § 19 Abs. 2 AVBWasserV bestimmt; einer weiteren Kostenübernahmeerklärung bedarf es dafür nicht. Das Recht auf Nachprüfung der Messeinrichtung nach § 19 Abs. 1 Satz 1 ist zudem nicht an eine bestimmte Frist (nach Ausbau des Wasserzählers) geknüpft, sondern besteht ohne Fristbindung (VGH München, Urteil vom 29. April 2010 – 20 B 09.2533 – Juris Rn 22). Ist der Klägerin zu 1) sonach der Einwand der Richtigkeit der Anzeige des Wasserzählers bereits nach dem Regelungsgehalt des § 19 AVBWasserV nicht verwehrt, kann dahin stehen, ob die Regelung überhaupt Anwendung findet, insbesondere ob sich der Verweis in § 4 a Abs. 4 Satz 3 BKGS auch auf diese Vorschrift erstreckt.
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Dem Antrag des Beklagten, Beweis darüber zu erheben, dass eine Befundprüfung des Wasserzählers nach § 32 der Eichordnung ohne sofortige Wässerung des ausgebauten Wasserzählers nach zehn Tagen und bei einer sofortigen Wässerung nach drei, jedenfalls aber nach fünf Monaten technisch nicht mehr möglich sei, musste nicht entsprochen werden, da es darauf nach den vorstehenden Ausführungen nicht ankommt.
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b) Die Schätzung des Beklagten ist zudem deshalb fehlerhaft, weil der Beklagte für den Zeitraum (ab Einbau des neuen Zählers) vom 31. August 2011 bis zum 31. Dezember 2011 eine Verbrauchsmenge von 270 m³ angenommen hat, obwohl der Zählerstand des neuen Zählers nach den unbestrittenen Angaben der Kläger am 03. Februar 2012 15 m³ betragen hatte. Insoweit hat der Beklagte die nach § 3 Abs. 2 BKGS in erster Linie maßgebliche mittels Wasserzähler gemessene Wassermenge und damit für die Schätzung bedeutsame Umstände nicht hinreichend berücksichtigt. Dass der neue Zähler nicht einwandfrei funktioniert und deshalb dessen Anzeige nicht zur Grundlage der Schätzung gemacht werden darf, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit der Beklagte im Widerspruchsbescheid ausgeführt hatte, dass die Kläger den hinterlegten Ableseschein nicht fristgerecht an den Beklagten übersandt hätten, berechtigte ihn dies nicht, den im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Zählerstand im Rahmen der Schätzung des Wasserverbrauchs unberücksichtigt zu lassen. Die Schätzung stellt lediglich ein Hilfsmittel zur Tatsachenfeststellung dar und muss alle Umstände berücksichtigen, die für sie von Bedeutung sein können. Erweist sich im Widerspruchsverfahren ein von der Behörde der Schätzung zugrunde gelegter Umstand als unzutreffend oder werden weitere Erkenntnisse gewonnen, die der im Ausgangsbescheid vorgenommenen Schätzung die Grundlage entziehen, muss dem daher in der Widerspruchsentscheidung Rechnung getragen werden. Dies hat der Beklagte versäumt.
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Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten, dass die vorgenommene Schätzung fehlerhaft ist, weil ihr der Beklagte zum einen den abgelesenen Zählerstand des ausgebauten Zählers zugrunde gelegt hat, obwohl Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Anzeige bestehen und der Beklagte den Nachweis der Richtigkeit der Anzeige nicht erbracht hat, und weil der Beklagte zum anderen den von den Klägern mitgeteilten Zählerstand des neu eingebauten Zählers zum 03. Februar 2012 nicht berücksichtigt hat. Da das Gericht im Falle der fehlerhaften Schätzung in seinen Entscheidungsmöglichkeiten auf die Aufhebung des Bescheids beschränkt ist, bleibt der Beklagte befugt, die verbrauchte Wassermenge neu zu schätzen und insoweit Gebühren zu erheben. Im Hinblick darauf, dass nach den Angaben der Kläger der Zählerstand des am 30. August 2011 eingebauten Zählers am 03. Februar 2012 15 m³ betragen hat, d.h. in 5 Monaten ca. 15 m³ verbraucht worden sind, käme etwa die Schätzung einer Verbrauchsmenge für das Jahr 2011 von 36 m³ in Betracht.
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2. Die Klage des Klägers zu 2) ist ebenfalls zulässig (dazu a) und begründet (dazu b).
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a) Die Zulässigkeit der Klage scheitert insbesondere nicht an der (mangelnden) Prozessführungsbefugnis des Klägers zu 2).
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Nach § 80 Abs. 1 InsO verliert zwar der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen. Gleichzeitig geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Im Prozess hat der Insolvenzverwalter kraft gesetzlicher Prozessstandschaft die uneingeschränkte Prozessführungsbefugnis unter Ausschluss des Schuldners. Der Schuldner ist nicht prozessführungsbefugt (BFH, Beschluss vom 31. Januar 2012 – I S 15/11 – Juris Rn 10).
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Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners ist jedoch nur hinsichtlich des massebefangenen Vermögens eingeschränkt. Macht der Insolvenzschuldner geltend, dass Ansprüche nicht mehr gegen ihn persönlich, sondern nur noch gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden dürfen, macht er keinen Anspruch hinsichtlich des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens geltend; er rügt vielmehr nur die mangelnde Einhaltung der Regelungen der InsO (BFH, Beschluss vom 31. Januar 2012 – I S 15/11 – Juris Rn 11, VG Braunschweig, Beschluss vom 31. August 2007 – 8 B 134/07 – Juris Rn 10).
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So liegt es hier. Der Kläger zu 2) hat auch vorgetragen, dass bereits vor Erlass des angefochtenen Bescheids über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Damit hat er den Sachverhalt geltend gemacht, aus dem sich die fehlende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das massebefangene Vermögen und die unzulässige Inanspruchnahme des Klägers zu 2) (dazu sogleich) ergibt. Dass der Kläger zu 2) darüber hinaus in seinem Schriftsatz vom 18. Oktober 2012 ausgeführt hat, er gehe nicht davon aus, dass es sich bei der streitbefangenen Forderung um eine Insolvenzforderung handele, stellt lediglich eine (fehlerhafte) rechtliche Würdigung des Sachverhalts dar, ändert aber nichts daran, dass der Kläger zu 2) den Sachverhalt gegen den Bescheid geltend gemacht hat, aus dem sich ergibt, dass der Beklagte rechtswidrig gegen ihn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Gebührenbescheid erlassen hat.
34
b) Der Beklagte durfte nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers zu 2) durch Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt (Saale) vom 02. Dezember 2011 (59 IN 582/11) keinen Trinkwassergebührenbescheid für das Jahr 2011 mehr gegen den Kläger zu 2) erlassen. Dies ist vielmehr rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 2) in seinen Rechten.
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Insolvenzgläubiger können gemäß § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner begründeten Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen.Eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Trinkwassergebührenforderung ist gemäß § 174 Abs. 1 InsO durch Anmeldung zur Tabelle geltend zu machen. Die Inanspruchnahme des Insolvenzschuldners scheidet dagegen aus.
36
Danach verstößt die Heranziehung des Klägers zu 2) zu Trinkwassergebühren für den Zeitraum vom 01. Januar 2011 bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 02. Dezember 2011 gegen § 87 InsO, weil die Trinkwassergebührenforderung für diese Zeit bereits begründet im Sinne von § 38 InsO war. Die Begründung der Forderung setzt weder deren Entstandensein noch deren Fälligkeit voraus. Die Einordnung als Insolvenzforderung erfolgt nach insolvenzrechtlichen Kriterien. Dabei ist es Zweck des § 38 InsO, alle Forderungen den Beschränkungen des Insolvenzverfahrens zu unterwerfen, die auf Handlungen des Schuldners vor Insolvenzeröffnung zurückgehen (VG Braunschweig, Beschluss vom 31. August 2007 – 8 B 134/07 – Juris Rn 15). Ausgehend davon ist entscheidend, dass der die Gebührenpflicht begründende Tatbestand, d.h. die Benutzung der öffentlichen Einrichtung des Beklagten, bereits im Zeitraum 01. Januar bis 02. Dezember 2011 erfüllt gewesen war. Damit wurde die Gebührenforderung im Sinne von § 38 InsO begründet.
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Für den vom angegriffenen Bescheid ebenfalls erfassten Zeitraum ab Insolvenzeröffnung bis zum 31. Dezember 2011 durfte der Kläger zu 2) ebenfalls nicht in Anspruch genommen werden, weil es sich bei der betreffenden Trinkwassergebührenforderung insoweit um eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO handelt, die gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen ist. Danach sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Die grundstücksbezogene Trinkwassergebühr wurde durch die Verwaltung des im Miteigentum des Klägers zu 2) stehenden Grundstücks und damit der Insolvenzmasse begründet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Den Klägern ist gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 Satz 1, 121 Abs. 2 ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren im ersten Rechtszug zu bewilligen, weil die Klage – wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt – hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, nicht mutwillig ist und die Kläger nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen können.