Donnerstag, 17. August 2017

Nachbarklage gegen eine Photovoltaik-Anlage

VG Saarlouis Urteil vom 18.1.2012, 5 K 437/11
Nachbarklage gegen eine Photovoltaik-Anlage
Leitsätze
1. Eine selbständige nicht auf einem Dach montierte Photovoltaik-Anlage mit einer einer maximalen Höhe von 9,465 m und eine Fläche des Solarpanels von 7,40 x 6,375 m, ist, auch wenn sie als gewerbliche Nutzung eingestuft wird, als Nebenanlage nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO in einem reinen Wohngebiet als Ausnahme zulässig. In einem allgemeinen Wohngebiet ist eine solche Anlage nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als sonstige nicht störende Gewerbeanlage ausnahmsweise zulässig.



2. Eine solche Anlage verstößt im Verhältnis zu einer angrenzenden Wohnbebauung nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, auch wenn sie auf Grund ihres "technischen" Aussehens im Verhältnis zur umgebenden Wohnbebauung durchaus verunstaltend wirkt. Denn das Rücksichtnahmegebot gibt einem Grundstückseigentümer keinen Anspruch auf eine optisch oder ästhetisch ansprechende Anlegung und Nutzung der Nachbargrundstücke.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 7.500,-- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für eine Photovoltaikanlage.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Anwesens A-Straße in A-Stadt, Gemarkung …, Flur …, Flurstück Nr. ... Das Grundstück ist zur A-Straße mit einem Wohnhaus bebaut, das sich grenzständig zum Grundstück der Beigeladenen befindet. Auf dem nordöstlich angrenzenden Grundstück der Beigeladenen – Flurstück Nr. … – steht angebaut an das Gebäude der Klägerin ebenfalls ein Wohnhaus. Das Gelände steigt auf den Grundstücken sowohl von Süd nach Nord als auch von West nach Ost an. Im rückwärtigen Bereich des Grundstücks der Beigeladenen steht ein Gartenhaus, an dem sich die streitgegenständliche Photovoltaikanlage befindet.
Mit Bauantrag vom 26.03.2009 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren für die Errichtung einer Photovoltaikanlage (Solar-Trak 2000) auf ihrem Grundstück. Die Anlage hat nach den Planvorlagen eine maximale Höhe von 9,465 m und das Solarpanel nimmt maximal eine Grundfläche von 7,40 x 6,375 m ein. Die Eigentümerin des nordöstlich angrenzenden Grundstückes, Flurstück …, stimmte dem Antrag der Beigeladenen auf Befreiung wegen der Unterschreitung der rechtsseitigen Abstandsfläche zu. Nach den von der Beigeladenen vorgelegten Abstandsflächen-Berechnungen unterschreitet die Photovoltaikanlage bei voller Ausnutzung des Schwenkbereiches der Anlage die Abstandsfläche zum Grundstück der Klägerin um ca. 4 cm. Die Gemeinde A-Stadt stellte ihr Einvernehmen zu dem Bauantrag her.
Der Beigeladenen wurde unter dem 06.01.2010 – Az. … – die streitgegenständliche Baugenehmigung zur Errichtung einer Photovoltaikanlage erteilt. Außerdem wurde eine Abweichung wegen der Unterschreitung der erforderlichen Tiefe der Abstandsfläche zum Flurstück Nr. … erteilt. Der Bescheid enthält die Auflage, dass die Photovoltaikanlage so zu arretieren ist, dass die kürzere Seite der Modulfläche (6,30 m) parallel zur Grundstücksgrenze des Flurstücks Nr. … steht. Eine Drehung um die vertikale Achse darf nicht erfolgen. Die Neigung der Modulfläche in der Vertikalen ist auf max. 30° gegenüber der Horizontalen zu begrenzen.
Gegen diesen, ihr am 09.01.2010 zugestellten Bauschein legte die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 02.02.2010, beim Beklagten am selben Tag eingegangen, Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, das streitgegenständliche Bauvorhaben sei bereits im Dezember 2008 installiert und die Baugenehmigung erst über ein Jahr später erteilt worden. Zudem sei die Beigeladene den Auflagen der Unteren Bauaufsichtsbehörde nicht nachgekommen. Der Abstand zu dem Flurstück … sei nicht eingehalten worden. Außerdem liege auch keinerlei Nachweis über die Standsicherheit vor.
Bei zwei im Januar 2011 durchgeführten Ortsbesichtigungen wurde durch Mitarbeiter des Beklagten festgestellt, dass die Photovoltaikanlage nicht entsprechend den Auflagen im Bauschein ausgerichtet war. Daraufhin wurde die Beigeladene mit Schreiben vom 28.01.2011 aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die Photovoltaikanlage so in Stellung gebracht werde, dass sie der Baugenehmigung entspreche. Die Beigeladene legte mit Schreiben vom 09.02.2011 eine Bescheinigung der Arnold Dach und Solar GmbH vor, wonach die Anlage grenzparallel mit einer Neigung von 30° arretiert sei. Die Anlage sei so eingestellt, dass sie selbständig nur noch in die horizontale Sturm- bzw. Ruhestellung fahren könne.
Der Widerspruch wurde mit auf Grund mündlicher Verhandlung vom 25.02.2011 ergangenem Bescheid zurückgewiesen. In dem Bescheid ist ausgeführt, von der Anlage der Beigeladenen gingen keine erheblichen und unzumutbaren Belästigungen aus. Dabei sei zu berücksichtigen, dass zwischen der Anlage und dem Haus der Klägerin ein bestimmter Abstand bestehe und es aufgrund der in der Baugenehmigung festgelegten Neigungswinkel nicht zu einer Blendwirkung für die Klägerin kommen könne. Dass die Anlage der Beigeladenen möglicherweise optisch als "unschön" empfunden werde, begründe keine unzumutbare Beeinträchtigung der Klägerin, zumal der Gesetzgeber in zahlreichen Vorschriften der Landesbauordnung Solaranlagen und regenerative Energien privilegiere. Ein Verstoß der Baugenehmigung gegen die Abstandsflächenvorschriften sei nicht ersichtlich, zumal durch die in der Genehmigung erteilte Auflage die Abstandsflächen eingehalten würden.
Der Widerspruchsbescheid wurde am 13.04.2011 zur Post gegeben und per Einschreiben an Prozessbevollmächtigten der Klägerin abgesandt.
Am 16.05.2011 (einem Montag) hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, die Beigeladene habe im Dezember 2008 eine Photovoltaikanlage im rückwärtigen Garten ihres Grundstückes errichten lassen. Diese habe eine maximale Gesamthöhe von 9,46 m und eine Modulfläche von 47,36 qm. Erst Ende März 2009 habe die Beigeladene einen Bauantrag für die Anlage gestellt. Mit Bescheid vom 06.01.2010 habe der Beklagte die beantragte Baugenehmigung mit Auflagen erteilt. Zumindest einer Auflage sei die Beigeladene nicht nachgekommen, da anlässlich einer Kontrolle am 17.01.2011 festgestellt worden sei, dass die geforderte Arretierung der Photovoltaikanlage nicht vorhanden gewesen sei. Die Photovoltaikanlage entspreche nicht den Anforderungen des § 34 Abs. 1 BauGB. Das Ortsbild zeichne sich durch Einfamilienhäuser im ländlichen Bereich mit im hinteren Bereich angelegten Gärten aus. In dieses Landschaftsbild passe die Photovoltaikanlage nicht hinein. Außerdem sei die Beigeladene den Auflagen des Beklagten nicht oder nur schleppend nachgekommen. Nach wie vor stehe nicht fest, dass die Abstandsflächen zu ihrem Grundstück eingehalten würden.
Die Klägerin beantragt,
die Baugenehmigung vom 06.01.2010 in Form des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Das Gericht hat die Örtlichkeit am 9. November 2011 besichtigt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Ortsbesichtigung wird auf die den Beteiligten übersandte Niederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsunterlagen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtene Baugenehmigung vom 06.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2011 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Erfolg einer baurechtlichen Nachbarklage setzt voraus, dass die angefochtene Baugenehmigung nicht nur rechtswidrig ist, sondern darüber hinaus gerade den klagenden Nachbarn in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.1993 - 4 C 5.93 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 120 = BauR 1994, 354 = NVwZ 1994, 686 = DVBl 1994, 697 = BRS 55 Nr. 168.
Für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung ist nur der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung und nicht die davon ggf. abweichende Bauausführung maßgeblich, weil der Regelungsinhalt einer Baugenehmigung immer von einer technisch einwandfreien Ausführung des genehmigten Vorhabens ausgeht.
So OVG des Saarlandes, Beschluss vom 23.11.1999 - 2 Q 33/99.
Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Nur nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind zu berücksichtigen. Änderungen zu seinen Lasten haben außer Betracht zu bleiben. Die erteilte Baugenehmigung vermittelt nämlich dem Bauherrn eine Rechtsposition, die sich, wenn ein Nachbar die Genehmigung anficht, gegenüber während des Rechtsmittelverfahrens eintretenden Änderungen der Sach- und Rechtslage durchsetzen kann.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 19.09.1969 - 4 C 18.67 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 25 = NJW 1970, 263 = DVBl 1970, 62 = DÖV 1970, 135 und vom 13.12.2007 - 4 C 9.07 - BVerwGE 130, 113 = DVBl 2008, 386 = NVwZ 2008, 437 = BauR 2008, 803 = Buchholz 310 § 73 VwGO Nr. 40 = BRS 71 Nr. 157, Beschlüsse vom 23.04.1998 - 4 B 40.98 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 87 = BauR 1998, 995 = NVwZ 1998, 1179 = BRS 60 Nr. 178 und vom 08.11.2010 - 4 B 43/10 -, ZfBR 2011, 164 = BauR 2011, 499 = BRS 76 Nr. 162.
Dies vorausgeschickt ist die angegriffene Baugenehmigung vom 06.01.2010 im Verhältnis zur Klägerin nicht rechtswidrig, da die der Beigeladenen erteilten Genehmigung nicht gegen dem Schutz der Klägerin dienende Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstößt.
Vorliegend ist die angefochtene Baugenehmigung der Beigeladenen im vereinfachten Verfahren erteilt worden ist, so dass nach § 64 Abs. 2 LBO von den Baugenehmigungsbehörden lediglich die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs und den sonstigen öffentlich-rechtlichen Vor-schriften außerhalb des Bauordnungsrechts, ausgenommen die Anforderungen nach der Arbeitsstätten- und der Energiesparverordnung, zu prüfen ist. Dies führt dazu, dass die sich aus dem Bauordnungsrecht ergebenden nachbarrechtlichen Anforderungen nicht zum Gegenstand einer Nachbaranfechtung gemacht werden können. Findet nämlich keine Prüfung durch die Bauaufsichtsbehörde statt, so kann eine auf dieser Grundlage erteilte Genehmigung insoweit keine Nachbar-rechte verletzen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.01.1997 4 B 244.96 -, NVwZ 1998, 58 = Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 142 = BRS 59 Nr. 185.
Deshalb scheidet eine Rechtswidrigkeit der angegriffenen Baugenehmigung wegen einer Verletzung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenbestimmungen der §§ 7 und 8 LBO von vornherein aus.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass die angefochtene Baugenehmigung die Klägerin auch unter bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht in ihren Rechten verletzt. Bauplanungsrechtlich beurteilt sich die Zulässigkeit eines Vorhabens und damit auch die Abwehrmöglichkeit des Nachbarn nicht nach den für das Nachbargrundstück, sondern – wie sonst auch – nach den für das Vorhabengrundstück geltenden Rechtsnormen. Daher ist für die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit auf die sich aus § 34 BauGB ergebenden Anforderungen abzustellen, da das Baugrundstück in einem Teil der bebauten Ortslage von … liegt, für die kein Bebauungsplan besteht.
Die nachbarrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen ergibt sich zunächst nicht unter dem Gesichtspunkt des Gebietserhaltungsanspruchs hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung.
Der Gebietserhaltungsanspruch, der Nachbarschutz hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung vermittelt, ist im unbeplanten Innenbereich nur dann anwendbar, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, so dass § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. den Vorschriften der Baunutzungsverordnung (BauNVO) Anwendung findet.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.09.1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546 = BRS 55 Nr. 110; OVG des Saarlandes, Urteil vom 21.08.2001 - 2 R 7/00 - und Beschluss vom 17.12.2001 - 2 Q 28/01 -.
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, die Erschließung gesichert ist, die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben und das Ortsbild nicht beeinträchtigt wird. Hierbei verweist der nach dem Willen des Gesetzgebers speziellere § 34 Abs. 2 BauGB bezüglich der Art der baulichen Nutzung auf die Vorschriften der BauNVO, sofern sich die maßgebliche Umgebung einer der dort aufgeführten Gebietskategorien zuordnen lässt. Der relevante räumliche Bereich, die nähere Umgebung, bestimmt sich dabei danach, wie sich die Ausführung des Vorhabens auf die Umgebung auswirken kann, und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits das Baugebiet prägt. Es kommt daher nicht nur auf die Bebauung in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks an, sondern auch auf die Bebauung der weiteren Umgebung des Grundstücks, insoweit als auch diese noch prägend auf das Baugrundstück einwirkt. Daraus folgt, dass in der Regel bei der Beurteilung der vorhandenen Bebauung nicht allein auf das Baugrundstück abgestellt werden kann; anders kann dies bei einem großen Grundstück sein, das z. B. von einem vorhandenen Unternehmen industriell genutzt wird.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 22.09.1967 - IV C 109.65 -, BVerwGE 27, 341 = BRS 18 Nr. 24, vom 13.06.1969 - IV C 81.68 -, BRS 22 Nr. 186 und vom 26.05.1978 - 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 369 = BRS 33 Nr. 36.
Nicht jegliche in der näheren Umgebung vorhandene Bebauung bestimmt ihren Charakter. Vielmehr muss die Betrachtung - gleichsam auf einer zweiten Stufe - auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Es muss alles außer acht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind zum einen - als unwesentlich und damit nicht prägend - solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Zum anderen können auch solche Anlagen aus der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auszusondern sein, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen. Das wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht. In Betracht kommen insbesondere solche baulichen Anlagen, die nach ihrer - auch äußerlich erkennbaren - Zweckbestimmung in der näheren Umgebung einzigartig sind. Sie erlangen die Stellung eines "Unikats" um so eher, je einheitlicher die nähere Umgebung im Übrigen baulich genutzt ist. Trotz ihrer deutlich in Erscheinung tretenden Größe und ihres nicht zu übersehenden Gewichts in der näheren Umgebung bestimmen sie nicht deren Eigenart, weil sie wegen ihrer mehr oder weniger ausgeprägt vom übrigen Charakter der Umgebung abweichenden Struktur gleichsam isoliert dastehen. Derartige Anlagen dürfen bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung aber nur dann als "Fremdkörper" ausgeklammert werden, wenn sie wegen ihrer Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter ihrer Umgebung letztlich nicht beeinflussen können.
Ob dies der Fall ist, muss - auf einer dritten Stufe - unter Würdigung des tatsächlich Vorhandenen ermittelt werden. Ausschlaggebend kann erneut die Größe der andersartigen Anlage sein. Einzelne bauliche Anlagen können nach Ausdehnung, Zahl und anderen Qualitätsmerkmalen ein solches Gewicht erhalten, dass sie trotz ihrer herausstechenden Andersartigkeit in einer abweichend und verhältnismäßig einheitlich strukturierten Umgebung ihrerseits tonangebend wirken. Dafür kommen neben der Größe des Gebäudes auch die Ausstrahlungswirkungen (Emissionen) einer einzelnen baulichen Anlage auf die nähere Umgebung in Betracht. Auf diesem Wege kann sogar ein einzelner Gewerbebetrieb in einem im Übrigen einheitlich strukturierten Wohngebiet die Eigenschaft eines außer Betracht zu lassenden Fremdkörpers verlieren und seinerseits die Eigenart der Umgebung mitbestimmen. Grundsätzlich sprechen aber große Qualitätsunterschiede zwischen einer einzelnen Anlage und ihrer im Wesentlichen homogenen Umgebung dafür, dass die Anlage als ein für die Eigenart der Umgebung unbeachtlicher Fremdkörper zu werten ist. Diese Regel wird nur dann durchbrochen werden können, wenn die Anlage ihre Umgebung beherrscht oder aus anderen Gründen trotz der Andersartigkeit mit ihr eine Einheit bildet.
Vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 15.02.1990 - 4 C 23.86 -, BVerwGE 84, 322 = DVBl 1990, 572 = BauR 1990, 328 = NVwZ 1990, 755 = Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 134 = BRS 50 Nr. 75.
Entspricht die so ermittelte Eigenart der näheren Umgebung des Vorhabens einem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete, so bestimmt sich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach den Maßstäben der Baunutzungsverordnung (§ 34 Abs. 2 BauGB).
Nach den vor Ort getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass es sich bei der Umgebung des Vorhabengrundstücks um ein Wohngebiet handelt, da die maßgebliche Umgebung des Vorhabengrundstücks in seiner Eigenart von Wohnnutzung geprägt. Dabei braucht vorliegend nicht entschieden werden, ob es sich dabei um ein Reines Wohngebiet i.S. des § 3 oder um ein Allgemeines Wohngebiet i.S. des § 4 BauNVO handelt. Denn in beiden Gebietsarten ist eine Photovoltaik-Anlage in der der Beigeladenen genehmigten Art bauplanungsrechtlich zulässig. Dabei braucht letztlich auch nicht entschieden werden, ob es sich bei der Photovoltaik-Anlage um eine selbständige gewerbliche Nutzung handelt.
Vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.09.2010 - 7 B 985/10 -, ZNER 2010, 516 = DWW 2010, 392 = ZfBR 2011, 45 = BauR 2011, 240 = BRS 76 Nr. 142.
In einem Allgemeinen Wohngebiet ergibt sich die Zulässigkeit der Anlage bereits aus § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, wonach dort sonstige nicht störende Gewerbeanlagen ausnahmsweise zulässig sind. Da die Photovoltaik-Anlage, auch wenn diese als Gewerbeanlage eingestuft wird, offensichtlich nicht störend ist, weil von ihr keinerlei Immissionen ausgehen, verstößt ihre Errichtung in einem Allgemeinen Wohngebiet nicht gegen den Gebietserhaltungsanspruch. Denn sie ist als grundsätzlich gebietsverträglich anzusehen. Bei der vorliegend errichteten Anlage sind auch keine Besonderheiten insbesondere im Hinblick auf ihre Dimensionierung zu erkennen, die gegen ihre Gebietsverträglichkeit sprechen könnten.
Sollte die Umgebung dagegen ein Reines Wohngebiet sein, so ist die Anlage auch dort zulässig, weil sie eine Nebenanlage nach § 14 BauNVO darstellt. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Das Vorliegen dieser Anforderungen ist im vorliegenden Fall fraglich, da der von der Anlage erzeugte Strom von der Beigeladenen gegen Entgelt in das Stromnetz eingespeist wird. Allerdings steht dies der Zulässigkeit der Anlage nicht entgegen, da nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO Anlagen für erneuerbare Energien in den Baugebieten als Ausnahme zugelassen werden können, auch soweit für sie im Bebauungsplan keine besonderen Flächen festgesetzt sind, soweit nicht Absatz 1 Satz 1 Anwendung findet. Dass es sich bei der streitgegenständlichen Photovoltaik-Anlage um eine Anlage für erneuerbare Energien handelt, ist offensichtlich. Es spielt es daher auf Grund der Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO auch keine Rolle, ob der erzeugte Strom der Versorgung des Baugebietes dient. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Anlage ist nicht vom Vorliegen einer Hauptanlage für die Versorgung abhängig und sie muss sich auch nicht räumlich-gegenständlich der auf dem Grundstück vorhandenen Wohnnutzung unterordnen. Mit § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ist eine Spezialregelung geschaffen worden, welche dazu dient, diesen speziellen Infrastruktursystemen einen erleichterten Zugang zu allen Baugebieten zu verschaffen. In diesem Zusammenhang hat der Begriff der Nebenanlage somit in erster Linie einen instrumentell-rechtstechnischen Zweck, der mit dem Begriffsinhalt, der ihm sonst in der Baunutzungsverordnung – nämlich als Pendant zum Begriff der Hauptanlage – zukommt, nicht kompatibel ist. Daher kann eine Nebenanlage im Sinn von § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO zugleich Teil einer Hauptanlage im Sinn von § 14 Abs. 1 BauNVO sowie der übrigen Vorschriften der Baunutzungsverordnung sein.
Vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 14 BauNVO Rdnr. 30; Bayerischer VGH, Urteil vom 19.05.2011 - 2 B 11.397 -, NVwZ-RR 2011, 851, m.w.N.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.02.2010 - 1 B 11356/09 -, DVBl 2010, 659 = BRS 76 Nr. 178.
Daher ist die Anlage in dem Gebiet nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO auch dann ausnahmsweise zulässig, wenn es ein Reines Wohngebiet wäre und sie als Gewerbeanlage eingestuft würde. Dies bedeutet, dass auch in einem Reinen Wohngebiet der Gebietserhaltungsanspruch durch die streitgegenständliche Photovoltaik-Anlage nicht verletzt werden kann. Denn die in § 14 sowie auch in den §§ 12 und 13 BauNVO genannten Anlagen zählen zum Charakter einer jeden Baugebietsart. Entsprechend kommt es für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit solcher in § 14 Abs. 2 BauNVO genannten Anlagen nicht auf ihre Gebietsverträglichkeit an.
Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 07.04.2011 - 1 ME 241/10 -, ZfBR 2011, 492 und Bayerischer VGH, Urteil vom 19.05.2011, a.a.O..
Die Klägerin kann ein Abwehrrecht auch nicht aus einer Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme herleiten. Die Voraussetzungen hierfür sind, soweit es die angefochtene Baugenehmigung betrifft, nicht gegeben.
Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob es sich bei der maßgeblichen Umgebung des Vorhabengrundstücks um ein Baugebiet i.S. der Baunutzungsverordnung handelt und damit § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. den Vorschriften der Baunutzungsverordnung einschlägig ist, oder um ein Gebiet eigener Prägung, für das § 34 Abs. 1 BauGB gilt. Das Gebot der Rücksichtnahme ist nämlich inhaltlich identisch, unabhängig davon, ob es sich aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO oder aus dem in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Merkmal des Einfügens herleitet.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 23.09.1999 - 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 = DVBl 2000, 192 = ZfBR 2000, 128 = DÖV 2000, 463 = Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr.196 = NVwZ 2000, 1050 = BRS 62 Nr. 86 und vom 16.09.1993, a.a.O..
Das Rücksichtnahmegebot ist keine allgemeine Härteklausel, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Bau-rechts steht, sondern Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Bau-rechts. Das Rücksichtnahmegebot soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewährleisten, dass Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen sind, dass ein Interessenausgleich möglich ist, der beiden Seiten gerecht wird.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 13.03.1981 - 4 C 1.78 - DÖV 1981, 672 = DVBl 1981, 928 = Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 44 = BRS 38 Nr. 186 und vom 05.08.1983 - 4 C 96.79 - BVerwGE 67, 334 = NJW 1984, 138 = DVBl 1984, 143 = Buch-holz 406.19 Nachbarschutz Nr. 55 = DÖV 1984, 295 = BRS 40, Nr. 48.
Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich da-von ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch desjenigen, der sich den Wirkungen solcher Immissionen aussetzt. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Berechtigte Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu schonen. Dagegen muss er es hinnehmen, dass Beeinträchtigungen, die von einem legal genutzten vorhandenen Bestand ausgehen, bei der Interessenabwägung als Vorbelastungen berücksichtigt werden, die seine Schutzwürdigkeit mindern.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.10.2002 - 4 B 60.02 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 165 sowie Urteile vom 12.12.1975 - IV C 71.73 -, BVerwGE 50, 49 = BRS 29 Nr. 135, vom 16.03.1984 - 4 C 50.80 -, NVwZ 1984, 511 = BRS 42 Nr. 73 und vom 14.01.1993 - 4 C 19.90 -, DVBl 1993, 652 = BRS 55 Nr. 175, unter Hinweis auf die Urteile vom 25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 = BRS 32 Nr. 155, und vom 13.03.1981, a.a.O..
Unter Anwendung dieser Grundsätze und Beachtung des bei der am 09.11.2011 durchgeführten Besichtigung der Örtlichkeiten gewonnenen Eindrucks hält die Kammer die Auswirkungen des durch die streitgegenständliche Baugenehmigung genehmigten Vorhabens für die Klägerin für im Rechtssinne „zumutbar“.
Der Klägerin ist zwar zuzustimmen, dass die streitgegenständliche Photovoltaik-Anlage auf Grund ihres sehr „technischen“ Aussehens im Verhältnis zur umgebenden Wohnbebauung durchaus verunstaltend wirkt. Jedoch vermitteln die Bestimmungen des Bauplanungsrechts einem Grundstückseigentümer keinen Anspruch auf eine optisch oder ästhetisch ansprechende Anlegung und Nutzung der Nachbargrundstücke. Denn dies ist kein Schutzkriterium um Rahmen des Gebotes der Rücksichtnahme.
Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 26.11.1996 - 2 R 20/95 -, BRS 58 Nr. 175.
Im Hinblick auf die Konstruktion der Anlage kann auch nicht festgestellt werden, dass die Anlage eine für die Klägerin „erdrückende“ oder „einmauernde“ Wirkung und damit rücksichtslose Auswirkungen auf ihr Eigentum haben könnte. Hieran ändert auch die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung der Abstandsflächenvorschriften nichts. Denn zum Einen ist nach dem Inhalt der Baugenehmigung das Solarpanel so auszurichten, dass ein Hineinragen in die nach § 7 Abs. 5 Satz 4 LBO erforderliche Mindestabstandsfläche von 3 m nicht vorkommt. Zum Anderen kann bei einer Berührung der Abstandsfläche mit einer Ecke des Solarpanels in einer Tiefe von 4 cm - was bedeutet, dass diese Ecke immer noch 2,96 m von der Grenze entfernt ist - nicht davon ausgegangen werden, dass dadurch für die Klägerin unzumutbare Beeinträchtigungen entstehen.
Da auch ansonsten keine Gründe ersichtlich sind, warum das Vorhaben der Beigeladenen für die Klägerin unzumutbare Auswirkungen haben könnte, wird das Gebot der Rücksichtnahme im Verhältnis zur Klägerin durch die angefochtene Baugenehmigung nicht verletzt.
Da somit die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht die Klägerin in ihren Rechten verletzt, ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Es entspricht vorliegend der Billigkeit im Sinne des § 162 Abs. 3 VwGO die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese keinen förmlichen Antrag gestellt und damit selbst kein Kostenrisiko übernommen haben (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht geht dabei von einem Betrag von 7.500,-- Euro als Wert der Sache aus (vgl. Ziffer 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. der am 07./08. Juli 2004 beschlossenen Änderungen – NVwZ 2004, 1327).