Montag, 14. August 2017

Trinkwassergebühren bei Leck am Absperrventil

Trinkwassergebühren bei Leck am Absperrventil

Leitsatz


1) Endet die öffentliche Trinkwassereinrichtung hinter dem Wasserzähler und definiert die Satzung diesen Begriff nicht, ist Wasserzähler im Sinne der Satzung die "Wasserzähleranlage", die nach den technischen Regeln aus der Wasseruhr und dem Absperrventil sowie der Einbauvorrichtung besteht.

2) Tritt Wasser durch den Entleerungshahn am ausgangsseitigen Absperrventil aus, liegt eine Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung nicht vor.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu Trinkwassergebühren für das Jahr 2009.
2
Sie ist Eigentümerin des Grundstücks A-Straße a in A-Stadt, das an die öffentliche Trinkwasserversorgungseinrichtung des Beklagten angeschlossen ist.
3
Am 21. September 2009 wurde der Wasserzähler für das Grundstück planmäßig gewechselt. Er wies zu diesem Zeitpunkt einen Stand von 4.833 m³ auf. Beim Zählerwechsel wurde festgestellt, dass die Absperreinrichtung hinter dem Zähler undicht gewesen ist.
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Mit Bescheid vom 02. Februar 2010 zog der Beklagte die Klägerin zu Trinkwassergebühren für das Jahr 2009 in Höhe von insgesamt 6.515,34 Euro (118,13 Euro Grundgebühr und 6.397,21 Euro Verbrauchsgebühr) heran. Der Verbrauchsgebühr legte er ausgehend von einem Zählerstand des Wasserzählers am 01. Januar 2009 von 234 m³ und einem Zählerstand am 21. September 2009 von 4.833 m³ einen Wasserbezug von 4.599 m³ zugrunde.
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Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, der angenommene Verbrauch sei zu hoch und auf ein undichtes Ventil an der Armatur zurückzuführen. Da sich die Wasseruhr in einem Schacht befinde, sei dies nicht bemerkt worden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Anschlussnehmer sei für die ordnungsgemäße Unterhaltung der Anlage hinter dem Wasserzähler verantwortlich. Entsprechender der AVBWasserV ende die Verantwortlichkeit des Verbands am Ende des Hausanschlusses. Die gemessene Wassermenge gelte auch dann als Verbrauch, wenn sie ungenutzt verlorengegangen sei, weshalb der Wasserverbrauch regelmäßig kontrolliert werden sollte. Dem sei die Klägerin nicht nachgekommen.
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Die Klägerin hat am 19. April 2010 Klage erhoben, zu deren Begründung sie geltend macht, es sei anzunehmen, dass ein Defekt der Wasseruhr dazu geführt habe, dass eine erhebliche Menge Trinkwasser unbemerkt versickert sei. Dies habe sie nicht zu vertreten, denn das Absperrventil hinter dem Zähler gehöre nach der AVBWasserV zum Hausanschluss. Der Verbrauch sei daher neu zu schätzen. Der übliche Verbrauch betrage nicht mehr als 60 m³.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 02. Februar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2010 aufzuheben, soweit eine Gebühr von mehr als 241,82 Euro erhoben wird.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Defekt sei dem Verantwortungsbereich der Klägerin zuzuordnen, da die undichte Stelle am Entleerungshahn hinter dem Wasserzähler gelegen habe, der nicht zum Hausanschluss im Sinne von § 10 AVBWasserV zähle. Nach § 11 der Wasserversorgungssatzung sei der Anschlussnehmer für die ordnungsgemäße Unterhaltung der Anlage hinter dem Wasserzähler verantwortlich.
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Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Herrn D. als Zeugen zu den Fragen, ob sich die festgestellte undichte Stelle an einem der im Jahr 2009 gewechselten Wasseruhr zuzuordnenden Teil befunden hat und wie lang die Anschlussleitung von der Versorgungsleitung bis zum Schacht ist. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 13. September 2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.
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Der angefochtene Bescheid ist in dem zur Überprüfung stehenden Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn der Beklagte hat der erhobenen Verbrauchsgebühr fehlerhaft einen Wasserbezug von 4.599 m³ zugrunde gelegt.
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Rechtliche Grundlage der Gebührenerhebung ist § 1 Abs. 2 der Beitrags-, Kostenerstattungs- und Gebührensatzung des Beklagten vom 11. Juni 2007 in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 16. März 2009 (im Folgenden: GebS). Danach erhebt der Beklagte nach Maßgabe der Satzung als Gegenleistung für die Inanspruchnahme der öffentlichen Wasserversorgungseinrichtungen eine verbrauchsabhängige Benutzungsgebühr (lit. a) und eine monatliche Grundgebühr (lit. b). Die Verbrauchsgebühr wird nach Kubikmeter berechnet und beträgt 1,30 Euro/m³ zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer (§ 3 Abs. 1 GebS). Die Mengenermittlung erfolgt gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 GebS in der Regel durch geeichte Messeinrichtungen. Bei Verbrauchern ohne Messeinrichtung oder bei einer fehlerhaften Zählung durch die Messeinrichtung wird der Verbrauch geschätzt, wobei grundsätzlich die Vorjahresverbrauchsmenge an Trinkwasser zugrunde zu legen ist (§ 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GebS).
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Da der Beklagte satzungsrechtlich nicht bestimmt hat, dass als Berechnungsgrundlage für den Erhebungszeitraum (Kalenderjahr, vgl. § 9 Abs. 1 GebS) der Wasserverbrauch in der Ableseperiode maßgeblich ist, die dem Schluss des Kalenderjahrs vorausgeht, und eine Ablesung tatsächlich nicht zum 01. Januar und zum 31. Dezember jeden Jahres erfolgt, ist der Wasserbezug allerdings immer – jedoch auf der Grundlage der Zählerstände – zu schätzen.
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Die Schätzung des Beklagten für das Kalenderjahr 2009 ist zu beanstanden, weil er insoweit einen Zählerstand von 4.833 m³ zum 21. September 2009 zugrunde gelegt und eine Verbrauchsmenge von 4.599 m³ angenommen hat, die mehr als das 70fache des üblichen Jahresverbrauchs der Klägerin beträgt und die auf einen undichten Entleerungshahn an der Absperrvorrichtung zurückzuführen ist.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten muss sich die Klägerin das dort ausgetretene Wasser nicht als Verbrauch zurechnen lassen. Vielmehr geht dies zu Lasten des Beklagten. Denn der Beklagte kann lediglich die Abgeltung des Wassers beanspruchen, das er der Klägerin zur Verfügung gestellt und in deren Anlage eingespeist hat. Nur insoweit liegt eine Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung durch die Klägerin vor. Daran fehlt es hingegen bezüglich des Wassers, das bereits an einer undichten Stelle im Bereich der öffentlichen Einrichtung des Beklagten ausgetreten ist. Derart verhielt es sich hier, weil der Entleerungshahn, an dem sich das Leck befand, zum Hausanschluss und daher zur öffentlichen Einrichtung des Beklagten gehört.
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Gemäß § 2 Abs. 1 der Wasserversorgungssatzung des Beklagten vom 11. Juni 2007 (WVS) gehört zur öffentlichen Trinkwasserversorgungsanlage u.a. die Anschlussleitung von der Versorgungsleitung bis einschließlich zum Wasserzähler auf dem Grundstück, der ebenfalls Teil der öffentlichen Einrichtung ist. § 9 Abs. 3 Sätze 1 und 2 WVS bestimmen zudem, dass die Hausanschlüsse an der Abzweigstelle des Verteilungsnetzes beginnen und hinter der jeweiligen Wasseruhr enden und dass die Hausanschlüsse ausschließlich vom Beklagten hergestellt, unterhalten, erneuert, geändert, abgetrennt oder beseitigt werden. Der Anschlussnehmer ist hingegen lediglich für die ordnungsgemäße Errichtung, Erweiterung, Änderung und Unterhaltung der Anlage hinter dem Wasserzähler verantwortlich (§ 11 Abs. 1 WVS).
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Das Leck befand sich hier an der ausgangsseitigen Absperrarmatur – an dem daran befindlichen Entleerungshahn – und damit an einem dem Wasserzähler im Sinne der WVS zuzuordnenden Bauteil.
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Da der Begriff des Wasserzählers bzw. der Wasseruhr in der Wasserversorgungssatzung des Beklagten nicht definiert wird, ist durch Auslegung zu ermitteln, welche Bauteile im Einzelnen davon erfasst werden. Entgegen der Auffassung des Beklagten führt insoweit ein Rückgriff auf die AVBWasserV, die allein im privatrechtlichen Bereich Anwendung findet, nicht weiter. Denn abweichend davon hat der Beklagte in seiner Wasserversorgungssatzung bestimmt, dass die Wasserversorgungsanlage nicht bereits mit der Hauptabsperrvorrichtung endet (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2 AVBWasserV), sondern erst hinter dem Wasserzähler bzw. der Wasseruhr. Diese Begriffe sind aber auch in der AVBWasserV nicht definiert.
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Wasserzähler im Sinne der WVS nach sachgerechtem Verständnis die „Wasserzähleranlage“, die die Anschlussleitung des Gebührenpflichtigen mit der Anschlussleitung des Beklagten verbindet. Die „Wasserzähleranlage“ besteht entsprechend den technischen Regeln (DIN 1988) grundsätzlich neben dem Wasserzähler u.a. aus je einer ein- und ausgangsseitigen Absperrarmatur. Die Absperrventile inklusive Entleerungshahn sind Teil dieser sog. Wasserzählereinbau- bzw. -anschlussgarnitur und bilden insoweit eine Funktionseinheit mit dem Zähler. Diese Bauteile werden – wie der Zeuge D. in der mündlichen Verhandlung geschildert hat – durch den Beklagten installiert, wenn ein Wasserzähler gewechselt oder neu eingebaut wird, und sind insoweit Teil eines zusammengehörigen Sortiments. Auch hier hat der Beklagte die Absperreinrichtung samt Entleerungshahn gewechselt und dies nicht der Klägerin überlassen. Dass der Entleerungshahn dem Interesse des Grundstückseigentümers dient, ist ebenso unerheblich wie die Frage, ob die ausgangsseitige Absperrvorrichtung beim Zählerwechsel unbedingt vonnöten ist. Maßgeblich ist vielmehr, dass es sich insoweit um Teile einer „Anlage“, nämlich der „Wasserzähleranlage“ handelt. Es stellte sich als künstliche Aufspaltung einer – vom Beklagten auch in der Praxis beim Einbau verwendeten – Funktionseinheit dar, wollte man allein den Teil der „Wasserzähleranlage“, der eingangsseitig vor dem eigentlichen Zähler gelegen ist, der öffentlichen Einrichtung zuordnen, hingegen den ausgangsseitig gelegenen Teil der Kundenanlage.
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Infolgedessen lag eine Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung des Beklagten durch die Klägerin bezüglich des durch den undichten Entleerungshahn ausgetretenen Wassers nicht vor, so dass im Hinblick darauf auch der angezeigte Zählerstand nicht zur Grundlage der Schätzung gemacht werden kann.
25
Diese hat der Beklagte vielmehr aufgrund des ihm bei der Schätzung zustehenden, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums (vgl. zur Schätzung von Überwachungswerten: BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2001 – BVerwG 11 C 3.00 – NVwZ-RR 2001, 470), neu vorzunehmen und dabei nach § 3 Abs. 2 Satz 3 GebS grundsätzlich die Vorjahresverbrauchsmenge, die hier bei 68 m³ gelegen hat, zugrunde zu legen. Lediglich wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Vorjahresmenge keine hinreichende Schätzungsgrundlage darstellt, ist die Schätzung auf andere Umstände zu stützen (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 4 GebS und § 162 AO).
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Ist sonach lediglich die Erhebung der Grundgebühr in Höhe von 118,13 Euro nicht zu beanstanden, ist der Bescheid im angegriffenen Umfang aufzuheben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.