Montag, 14. August 2017

Vorläufiger Rechtschutz gegen die Einstellung der Wasserversorgung aufgrund rückständiger Forderungen des Versorgers

Vorläufiger Rechtschutz gegen die Einstellung der Wasserversorgung aufgrund rückständiger Forderungen des Versorgers

Leitsatz

Eine Einstellung der Wasserversorgung aufgrund rückständiger Forderungen des Versorgers ist nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um Forderungen gerade aus dem Wasserversorgungsverhältnis handelt. Sie darf nicht darauf gestützt werden, dass ein Bezieher von Wasser seinen finanziellen Verpflichtungen wegen anderer öffentlicher Forderungen, insbesondere wegen offener Gebühren für die Abwasserentsorgung, nicht nachgekommen ist oder nachkommen wird.

Gründe

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Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, das Grundstück der Antragstellerin B.. wieder mit Trinkwasser zu beliefern, hat Erfolg.
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I. Der Verwaltungsrechtsweg ist – entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners – eröffnet. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten gegeben. Deshalb kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob die Wassersperre dem öffentlichen Recht oder dem privaten Recht zuzuordnen ist. Dies richtet sich nach der Rechtsgrundlage für die Einstellung der Wasserlieferung. Die Rechtsvorschriften, die die Modalitäten des Wasserbezuges regeln, und die Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Wassersperre wegen Nichtzahlung des Wasserentgeltes unterfallen dem öffentlichen Recht und nicht dem Privatrecht.
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Eine Gebietskörperschaft ist befugt, ihre Wasserversorgung privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich zu regeln. Dies folgt aus dem Selbstverwaltungsrecht der kommunalen Körperschaft und ihrer daraus herzuleitenden Organisationshoheit, die durch Art. 28 GG geschützt sind. Es ist auch zulässig, den Anschluss- und Benutzungszwang im Hinblick auf die Wasserversorgung öffentlich-rechtlich zu regeln und die Entgeltregelungen – Zahlung des Wasserentgelts – dem privaten Recht zu unterwerfen. Die Körperschaft kann auch den Anschluss- und Benutzungszwang öffentlich-rechtlich begründen und über die Entgeltregelungen hinaus auch das Benutzungsverhältnis selbst privatrechtlich ausgestalten. Denn der Anschluss- und Benutzungszwang einerseits, das Benutzungsverhältnis als solches andererseits und die Entgeltregelungen als Drittes sind keine unteilbaren Bestandteile eines Rechtsverhältnisses, das nur einheitlich beurteilt werden könnte (vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 10.06.2003 – 3 B 43/03 –; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 04.09.2014 – 4 K 1748/14 –, beide juris). Für die Frage, in welcher Organisationsform der Wasserversorger den Anschluss- und Benutzungszwang/das Anschluss- und Benutzungsrecht (Ob), das Benutzungsverhältnis im Übrigen (Wie) und die Entgeltregelungen im Einzelnen ausgestaltet, ist der objektiv erkennbare Erklärungswille des Organisationsträgers entscheidend. Dieser Wille wird in den Satzungen und Entgeltregelungen deutlich, insbesondere in der Versorgungssatzung und in den diese ggf. ergänzenden allgemeinen Versorgungsbedingungen und Entgeltregelungen (vgl. zu alledem OVG Lüneburg, Urteil vom 26.08.1976 - III A 138/74 - KStZ 1976, Seite 234; Urteil vom 25.06.1997 - 9 K 5855/95 -, NSTN 1998, Seite 24; Sächsisches OVG, Urteil vom 10.12.1996 - 2 S 550/94 -, KStZ 1997, Seite 156; Lichtenfeld in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6 Rn. 716; VG Lüneburg, Beschluss vom 10.06.2003, a.a.O.).
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Der Antragsgegner betreibt die Trinkwasserversorgungsanlage in seinem Verbandsgebiet als öffentliche Einrichtung. Dies ergibt sich aus § 1 der Satzung über die Versorgung mit Trinkwasser im Verbandsgebiet des Wasserzweckverbandes „ ...“ vom 25.03.2014 – Trinkwasserversorgungssatzung – (TVS-WVS). Nach § 3 TVS-WVS ist jeder Grundstückseigentümer berechtigt, den Anschluss und die Belieferung mit Wasser zu verlangen. Das Versorgungsverhältnis (Wie), wie auch die Entgeltzahlung wird zwar gemäß § 5 TVS-WVS privatrechtlich auf der Grundlage der (bundesrechtlichen) Verordnung über die Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Wasser in der Fassung von Art. 3 des Gesetzes vom 21.01.2013 (BGBl I, 91) – AVBWasserV – ausgestaltet, wobei die Vertragsbedingungen und die Entgeltzahlung in den Wasserlieferungsbedingungen Nr. 12/13 des Wasserzweckverbandes „ ...“ geregelt werden. Die Regelung des § 3 TVS-WVS (Anschluss- und Benutzungsrecht) ist wie die Regelung des § 4 TVS-WVS über den Anschluss- und Benutzungszwang jedoch dem öffentlichen Recht zuzuordnen, denn sie finden ihren Rechtsgrund in §§ 11, 24 KVG LSA (vormals: §§ 8 Satz 1m 22 Abs. 1 GO LSA), wonach die Kommunen für die Grundstücke ihres Gebietes den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung und die Benutzung anordnen können sowie einen Anspruch auf die Benutzung vermitteln. Dass der Versorgungsvertrag als solches, wie auch die Entgeltzahlungen (Wie) privatrechtlich auf der Grundlage der AVBWasserV ausgestaltet ist (vgl. § 5 TVS-WVS), steht dieser Sichtweise nicht entgegen, da es sich insoweit um teilbare Rechtsverhältnisse handelt. Der Anspruch auf Trinkwasserversorgung (Ob) als Teil der Daseinsvorsorge ist somit öffentlich-rechtlicher Natur (VG Stade, Beschluss vom 10.01.2013 – 1 B 2772/12 – juris). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der zivilrechtliche Aspekt des vorliegenden Rechtsstreits nicht dazu führt, dass dieser ganz oder teilweise an die ordentlichen Gerichte zu verweisen ist. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Ein einheitlicher Rechtsstreit ist vorliegend gegeben. Denn der geltend gemachte Anspruch der Antragstellerin auf Versorgung mit Trinkwasser beruht auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt und ist somit prozessual ein einheitlicher Streitgegenstand. In Fällen, in denen sich ein Anspruch sowohl zivil- (Benutzungsverhältnis) als auch öffentlich-rechtlich (s.o.) begründen lässt, ist ein Wahlrecht des Klägers/Antragstellers in Bezug auf den Rechtsweg anerkannt (VG Berlin, Beschluss vom 05.04.2012 – 4 K 384.11– juris; VG Stade, a.a.O.)
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft, weil es sich bei der (schlichten) Einstellung der Wasserlieferung/der Wiederaufnahme der Lieferung nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen Realakt handelt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.02.1992, NJW 1993, 414; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.04.2010 - 9 S 121.09 -, juris; VG Lüneburg, Beschluss vom 10.06.2003 - 3 B 43/03 -, juris); mithin die Antragstellerin keinen Rechtsschutz über § 80 VwGO erreichen kann (§ 123 Abs. 5 VwGO).
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II. Der Antrag ist auch begründet. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder wenn sie aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller muss einen materiellen Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) glaubhaft machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO).
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Der Anordnungsgrund liegt angesichts der vom Antragsgegner bereits vorgenommen Einstellung der Wasserlieferung und der elementaren Bedeutung der Wasserversorgung für die tägliche Lebensführung auf der Hand.
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Die Antragstellerin hat auch im Sinne der §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, dass sie gegenüber dem Antragsgegner einen Anspruch hat, dass dieser die Versorgung mit Trinkwasser wieder aufnimmt, da die Einstellung der Wasserversorgung nach der vorliegenden Sach- und Rechtslage rechtswidrig sein dürfte.
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Die Rechtmäßigkeit der Einstellung der Wasserversorgung durch den Antragsgegner ist nach § 5 TVS-WVS i.V.m. § 33 Abs. 2 AVBWasserV, wonach bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung das Wasserversorgungsunternehmen berechtigt ist, die Versorgung zwei Wochen nach Androhung einzustellen, zu beurteilen. Dies gilt nicht, wenn der Kunde darlegt, dass die Folgen der Einstellung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen und hinreichende Aussicht besteht, dass der Kunde seinen Verpflichtungen nachkommt.Das Wasserversorgungsunternehmen kann mit der Mahnung zugleich die Einstellung der Versorgung androhen. Die Regelung begründet jedoch (auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen), wie sich schon aus ihrem Wortlaut („berechtigt“) ergibt, keine Verpflichtung des Wasserversorgers zur Einstellung der Wasserversorgung, sondern stellen dieses in dessen Ermessen (vgl. auch VG Dresden, Urteil vom 17.04.2012 - 2 K 816/10 -, juris; VG Freiburg, a.a.O).
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Ungeachtet einer möglichen Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen hat der Antragsgegner dieses Ermessen vorliegend offenkundig fehlerhaft ausgeübt. Denn eine Einstellung der Wasserversorgung aufgrund rückständiger Forderungen des Versorgers ist nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um Forderungen gerade aus dem Wasserversorgungsverhältnis handelt. Eine Versorgungseinstellung darf nicht (auch) darauf gestützt werden, dass ein Bezieher von Wasser seinen finanziellen Verpflichtungen wegen anderer öffentlicher Forderungen, insbesondere wegen offener Gebühren für die Abwasserentsorgung, nicht nachgekommen ist oder nachkommen wird (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.11.2011, – OVG 9 S 40.11 –, juris, m.w.N.; VG Magdeburg, Urteil vom 22.06.2012 - 9 A 166/11 -, juris; VG Freiburg, Beschluss vom 14.09.2014, a.a.O). Denn die Liefersperre ist kein außerordentliches Mittel der Zwangsvollstreckung. (vgl. VG Dresden, Urteil vom 17.04.2012 – 2 K 816/10 – juris).
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Vorliegend hat der Antragsgegner seine Entscheidung, der Antragstellerin kein Wasser mehr zu liefern, ersichtlich auf der Grundlage getroffen, dass die Antragstellerin mit Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.752,06 EUR im Rückstand ist. Ausweislich der Mahnung vom 07.10.2014, die zugleich die Ankündigung der Einstellung der Trinkwasserversorgung enthält, setzt sich dieser Betrag aus privatrechtlichen Wasserentgelten und Schmutz- und Niederschlagswassergebühren für die Jahre 2011 bis 2014 sowie Widerspruchsgebühren und Auslagen zusammen. Überschlägig betrachtet, dürfte in Anlehnung an die Verbrauchsabrechnung 2013 vom 01.02.2014 davon auszugehen sein, dass mindestens der hälftig angemahnte Betrag, keinen Verpflichtungen aus dem Wasserversorgungsverhältnis entspringt. Das stellt eine wesentliche Änderung der Entscheidungsgrundlagen dar. Es erfordert eine neue, auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit andere Ermessensentscheidung des Antragsgegners, ob eine solche Versorgungssperre auch allein angesichts der (erheblich geringeren) Rückstände der Antragstellerin bei der Zahlung von Wasserversorgungsentgelten erfolgen soll (so auch VG Freiburg, Beschluss vom 14.09.2014, a.a.O.). Schon wegen dieses Ermessensfehlers erweist sich die Einstellung der Wasserlieferung als rechtswidrig.
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Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten weist das Gericht jedoch darauf hin, dass die Nichtzahlung bereits entstandener und fälliger Forderungen aus dem Wasserversorgungsverhältnis grundsätzlich eine Einstellung der Versorgung mit Trinkwasser rechtfertigen kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.11.2011, a.a.O.). Der Antragsgegner hat dementsprechend zu prüfen, ob die Forderung tatsächlich entstanden und fällig ist und die Antragstellerin nicht zur Verweigerung der Zahlung berechtigt ist (vgl. § 30 AVBWasserV). Eine Zahlungsverweigerung kommt nur bei offensichtlichen Abrechnungsfehlern in Betracht. Vor diesem Hintergrund sollte die Antragstellerin die Begleichung offener und fällig gestellter Trinkwasserforderungen in Betracht ziehen, um einer neuerliche Einstellung der Wasserversorgung zu begegnen. Soweit sie solche Einwendungen gegen die Trinkwasserrechnungen hat, die sie nicht zur Zahlungsverweigerung berechtigten (offensichtliche Abrechnungsfehler), ist sie gehalten, den Zivilrechtsweg zu beschreiten, um ggf. die Rückzahlung zu erwirken. Demgegenüber hat der Antragsgegner vor einer rechtmäßigen Versorgungseinstellung der Antragstellerin mitzuteilen, dass jedenfalls die Zahlung – allein – der trinkwasserbezogenen Forderungen ausreicht, um die Versorgungseinstellung abzuwenden, wobei er zuvor darüber zu entscheiden hat, ob die offenen trinkwasserbezogenen Forderungen überhaupt ausreichen, um eine Versorgungseinstellung als verhältnismäßig erscheinen zu lassen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.11.2011, a.a.O.). In diesem Zusammenhang hat die Antragstellerin darzulegen, dass die Folgen der Einstellung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung (hier der Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung) stehen und hinreichende Aussicht besteht, dass die Antragstellerin ihren Verpflichtungen nachkommt (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2 AVBWasserV). Nach derzeitigem Erkenntnisstand bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin wirtschaftlich nicht in der Lage ist die Trinkwasserforderungen zu begleichen. Das Gericht regt gleichwohl an, dass sich die Antragstellerin wegen der offenen Trinkwasserforderungen mit dem Antragsgegner ins Benehmen setzt und die Beteiligten ggf. eine Vereinbarung hinsichtlich der weiteren Zahlungsmodalitäten treffen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 63 Abs. 2 GKG.