Sonntag, 13. August 2017

Werklohnprozess nach Errichtung einer Trinkwasseranlage 10 U 119/09 OLG Stuttgart

Berufung im Werklohnprozess nach Errichtung einer Trinkwasseranlage: Zurückbehaltungsrecht des Auftraggebers bei Nichtaushändigung einer Unternehmerbescheinigung; Fehlen einer Dichtigkeitsprüfung als Werkmangel; Korrektur der erstinstanzlichen Kostenentscheidung bei sofortigem Anerkenntnis der Abnahmeverpflichtung nach Sachverständigennachweis

Leitsätze

1. Die Aushändigung einer Bescheinigung der Übereinstimmung der errichteten Trinkwasseranlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften nach § 66 S. 2 BauO NRW ist keine Hauptpflicht, sondern eine Nebenpflicht aus dem Werkvertrag zwischen den Parteien. Die Nichterfüllung dieser Nebenpflicht steht einer Abnahme nicht entge-gen, sondern begründet ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB.

2. Das Fehlen einer Dichtigkeitsprüfung der Trinkwasseranlage nach DIN 1899 in nicht verdecktem Zustand stellt einen Mangel des Werks des Auftragnehmers dar. Dieser Mangel ist nicht wesentlich und steht einer Abnahme nicht entgegen, wenn der Auftragnehmer im Prozess nachweist, dass das Rohrleitungsnetz dicht ist.

3. Im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO ist eine Korrektur der Kostenentscheidung erster Instanz möglich, weil die Kostenentscheidung von Amts wegen zu ergehen hat.

4. Hat der Auftragnehmer im Prozess durch ein Sachverständigengutachten die Dichtigkeit des Rohrleitungsnetzes nachgewiesen, so dass ab Vorlage des Gutachtens ein wesentlicher Mangel nicht mehr vorlag und die Klage auf Abnahme begründet wurde, kommt § 96 ZPO nicht zu Anwendung, sondern der Auftraggeber kann seiner Kostenlast nur entgehen, wenn er den Anspruch auf Abnahme nach Vorlage des Gutachtens gemäß § 93 ZPO sofort anerkennt. Ansonsten trägt er nach § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits.

Verfahren abgeschlossen durch Berufungsrücknahme

Tenor


1. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 9.10.2009, AZ: 7 O 116/06, durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Beklagte erhält Gelegenheit, zu diesem Beschluss bis Mittwoch, 10.2.2010, Stellung zu nehmen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg; die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Nach Fertigstellung des Werks ist der Auftraggeber zur Abnahme verpflichtet. Er darf die Abnahme nach Fertigstellung des Bauwerks wegen Mängel nur verweigern, wenn diese wesentlich sind (§ 12 Nr. 3 VOB/B). Im Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien ist zu berücksichtigen, ob dem Auftraggeber die Abnahme und der damit verbundene Rechtsverlust zuzumuten ist, aber auch das Interesse des Auftragnehmers, möglichst bald die Abnahmewirkungen herbeizuführen. Ob ein Mangel „wesentlich“ ist, bestimmt sich anhand der Art des Mangels, seines Umfangs und vor allem seiner Auswirkungen unter Berücksichtigung und Wertung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls; insbesondere kommt es auf die Zumutbarkeitsgrenze aus objektiver Sicht im Verhältnis zwischen dem Vertragszweck und dem erbrachten Erfolg an. Ein wesentlicher Mangel wird dann vorliegen, wenn die Gebrauchsfähigkeit der Leistung aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt ist. Die Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ist ein gewichtiger Anhaltspunkt für die Wesentlichkeit eines Mangels, aber stets nur einer der zu berücksichtigenden Umstände. Mit einzufließen hat bei der Bewertung, ob ein Mangel wesentlich ist, auch ein etwaiges Verschulden des Auftragnehmers bei der Ausführung (vgl. hierzu insgesamt Riedl / Mannsfeld in Heiermann / Riedl / Rusam VOB 11. Aufl. B § 12 RN 76).

Die fehlende Bescheinigung der Übereinstimmung der Trinkwasseranlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 66 Satz 2 BauO NRW) steht der Abnahme nicht entgegen.

Die Aushändigung dieser Bescheinigung ist vertragliche Nebenpflicht der geschuldeten Werkleistung (OLG Köln NZBau 2000, 78, Juris RN 2). Eine Verletzung einer solchen Nebenpflicht steht einer Abnahmepflicht nicht entgegen, weil mit der Abnahme die Erfüllung der Hauptpflicht des Unternehmers, nämlich die Herstellung eines vertragsgemäßen Werks, erklärt wird. Wegen der Verletzung einer Nebenpflicht kann der Besteller die Abnahme nicht verweigern, sondern ihm steht deswegen lediglich ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber der Werklohnforderung nach § 273 BGB zu (vgl. auch Kniffka, Anmerkung zum Urteil des OLG Rostock vom 15.2.1995, AZ: 2 U 59/94, IBR 1995, 333). Zu Recht hat deshalb das Oberlandesgericht Köln in der zitierten Entscheidung ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB und nicht ein solches nach § 641 Abs. 3 BGB a. F. angenommen.

a) Nach der DIN 1899 hatte eine Druckprüfung der Trinkwasseranlage in nicht verdecktem Zustand stattzufinden. Die Klägerin hat diese auf die Herstellung des Werks bezogene und damit zur Hauptpflicht gehörenden Maßnahme versäumt, weshalb ihr Werk mangelhaft ist.

b) Allerdings handelt es sich im vorliegenden Fall beim Fehlen der Dichtigkeitsprüfung nach der DIN 1899 nicht um einen wesentlichen Mangel, der der Abnahme entgegenstünde. Die Prüfung nach DIN 1899 ist kein Selbstzweck, weshalb ein wesentlicher Mangel trotz Fehlens entsprechender Prüfungsprotokolle nicht vorliegt, wenn nachgewiesen wird, dass die Anlage tatsächlich dicht ist. Nach den Prüfungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen und der sachverständigen Bewertung der Prüfungsergebnisse sind nach Feststellung des Landgerichts die zu prüfenden Leitungen dicht.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGHZ 158, 269, Juris Rn 8f). Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Wenn sich das Berufungsgericht von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu überzeugen vermag, so ist es an die erstinstanzliche Beweiswürdigung, die es aufgrund konkreter Anhaltspunkte nicht für richtig hält, nicht gebunden, sondern zu einer erneuten Tatsachenfeststellung berechtigt und verpflichtet (BGHZ 162, 313 Juris RN 7).

Die Druckprüfung war (nur) für das reine Rohrleitungsnetz erforderlich. Durch das gerichtliche Sachverständigengutachten steht fest, dass die Trinkwasseranlage ausreichend dicht und damit abnahmefähig ist. Weitere Untersuchungen durch den gerichtlichen Sachverständigen oder die Klägerin zur Herbeiführung der Abnahmefähigkeit der Trinkwasseranlage waren daher nicht mehr erforderlich.

Die Berufung rügt, es fehle dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen die Überzeugungskraft, weil es spekulativ sei. Es fehlten gesicherte Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen. Der Sachverständige hat jedoch erkannt, dass die reine Druckprüfung bei den Steigleitungen 10/11 und 14/16 nicht erfolgreich war. Er hat sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt und überzeugend begründet, wo die hier festgestellten Undichtigkeiten herrühren. Er hat die festgestellten Undichtigkeiten von Art und Umfang sowie nach den konkreten Verhältnissen der Leitungsführungen sachverständig nicht Undichtigkeiten der Steigleitungen, sondern der Anzahl der nicht ausreichend abzusperrenden Stockwerkleitungen zugeordnet. Dabei hat er die durch die Druckprüfung im bewohnten Zustand zu beachtenden Besonderheiten gegenüber einer Druckprüfung im Rohbauzustand beachtet und angemessen berücksichtigt. Durchgreifende Einwendungen gegen diese Bewertung des Prüfungsergebnisses durch den Sachverständigen, die Zweifel im Sinn des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

Im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO ist eine Korrektur der von Amts wegen zu treffenden Kostenentscheidung erster Instanz möglich (vgl. MünchKomm-Rimmelspacher, ZPO 3. Aufl. § 522 RN 20). Jedoch ist auch die Kostenentscheidung erster Instanz nicht zu beanstanden und zu korrigieren.

Die Klägerin hat durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen nachgewiesen, dass die Trinkwasseranlage dicht ist. Damit wurde die Dichtigkeit der Trinkwasseranlage erstmals belegt. Entgegen der Auffassung der Berufungsbegründung führt dies nicht zur Anwendung des § 96 ZPO, weil diese Norm ein erfolglos gebliebenes Angriffs- oder Verteidigungsmittel voraussetzt, während hier die von der Klägerin beantragte Beweiserhebung erfolgreich war. Vielmehr hätte die Beklagte, wenn sie der Kostenfolge des Prozesses erster Instanz hätte entgehen wollen, nach der Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen und dem damit gelungenen Beleg der Dichtigkeit der Trinkwasseranlage den Klaganspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO sofort anerkennen können. Da sie dies nicht gemacht hat, sondern weiterhin ihre Abnahmeverpflichtung bestritten hat, hat das Landgericht die Kostenfolge zu Recht nach § 91 ZPO ausgesprochen.